ARMUT BRINGT SPENDEN

24.12.2012 | Hadija Haruna im „Fluter“
Traurig sehen sie uns an: die großen, hungrigen Augen eines mageren Kindes, das in einem silbernen Waschtrog sitzt. Besonders in der Winterzeit boomt das Geschäft mit den Armen dieser Erde. Dann wird um die Gunst der Spender gebuhlt. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschungspenden rund 40 Prozent der Bundesbürger jedes Jahr.
Wer für Projekte in armen Ländern sammelt, kann sich nicht mehr allein auf den guten Ruf seiner Organisation verlassen. „Es gibt einen großen Wettbewerb“, sagt Christoph Hilligen, Vorstandsmitglied von World Vision und VENRO, dem größten Dachverband Deutscher Nichtregierungsorganisationen. Auch deshalb nutzen die Hilfsorganisationen gezielte Werbemittel. „Tiere und Kinder gehen immer“, wissen Werbestrategen, weil „da Helferreflex und Beschützerinstinkt leichter ausgelöst werden als bei langfristigen Themen der Entwicklungszusammenarbeit – wie zum Beispiel dem Bildungsbereich“, sagt Burkhard Wilke, Geschäftsführer des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI).

Spendenaufruf durch die Reproduktion von Klischees
Wer die Bilder genauer betrachtet, findet darunter auch besonders Mitleidswürdiges. Bilder von nackten Menschen in purer Not, die auf Umschlägen prangen, und Abbildungen, die auf die Machtverhältnisse zwischen Gebern und Nehmern setzen. An diesem Punkt setzt die Kritik von Timo Kiesel, Macher des Dokumentarfilms „White Charity“ an. Ihm geht es um eine Auseinandersetzung mit der Frage, welches Bild von Ländern des globalen Südens vermittelt wird. „Die meisten Plakate reproduzieren rassistische Klischees und halten damit das Bild von rückständigen schwarzen Menschen und People of colour aufrecht“, sagt Kiesel.
Nach Ansicht der Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche hat sich an diesem Afrikabild in den letzten zwei Jahrhunderten wenig geändert. „Das ist keine rein deutsche Problematik, wenn man auf die europäischen Nachbarländer schaut. Das macht es jedoch nicht besser, sondern verstärkt die Frustration, dass zu hohen Feiertagen jegliche kritische Selbstreflektion einfach aus der Öffentlichkeit zu verschwinden scheint“, sagt Piesche. Ihre Kritik ziele hierbei nicht zuerst auf die Unbelehrbaren, die Alltagsgestrigen ab, sondern beziehe sich vor allem auch auf das liberale, linke und kritische Publikum einer weißen Mehrheitsgesellschaft.
Zu einer kritische Denkweise anregen will auch die Fotoausstellung „weiß-schwarz“ des entwicklungspolitischen Netzwerks Sachsen und damit Stereotypen entgegenwirken: Ein junger Lehrer ist aus Afghanistan, die Chefärztin im städtischen Krankenhaus eine Schwarze und Ghana schickt eine Expertin zur Lösung der Griechenlandkrise. „Durch das Vertauschen der Rollen wird die mediale Wirklichkeit des Betrachters auf den Kopf gestellt“, heißt es im Ankündigungstext.
Auch die norwegische Organisation SAIH macht auf die Problematik der Bildsprache in einem ironischen Musikvideo aufmerksam. „Radi-Aid“ ist ein Spendenaufruf an alle Afrikaner, ihre Heizkörper zugunsten von Norwegen zu sammeln. „Norwegen ist ein kaltes Land. Aber die Menschen hier wären sicher sehr frustriert, wenn dies das Einzige wäre, was man über ihr Land weiß. Doch genau so ist es mit afrikanischen Ländern“, erklärt SAIH-Präsident Erik Schreiner Evans in einem Spiegel-Interview.

Ist ein differenziertes Bild in der Spendenwerbung möglich?

„Viele Organisationen haben Angst, dass die Spendenbereitschaft sinkt, wenn sie anstatt spärlich bekleideter und lachender Kinder Jugendliche in einem Internetcafé präsentieren oder anstatt der Minenopfer die Waffenherstellung in Deutschland skandalisieren würden, die an der Not mitbeteiligt ist“, sagt Kiesel. Auf den Spendenplakaten sei zu wenig Platz, um einen langen, entwicklungspolitisch korrekten Text zu formulieren. Die Werbung müsse ansprechend, emotional, schnell und leicht verständlich sein und dabei ein wahres Bild vermitteln, sagt Hilligen von World Vision und Venro.
Gemeinsam mit dem DZI arbeitet Venro derzeit an einer Arbeitshilfe für eine ethisch vertretbare Spendenwerbung, die im nächsten Jahr erscheinen soll. Es gehe darum bereits bestehende Standards eines ethischen Kodexes konkreter auf Fallbespiele herunterzubrechen, um sie den Organisationen verständlicher zu machen, so Wilke. Die Meinungen außenstehender, kritischer Gruppen würden dabei gehört, stünden aber nicht im Zentrum des Arbeitsprozesses.
Das, was als abwertend verstanden wird, ist sehr subjektiv von Organisation zu Organisation, kritisiert Dokumentarfilmer Kiesel. „Wenn überwiegend aus weißen Menschen bestehende Organisationen entscheiden, wie jemand dargestellt wird, ändert sich nicht viel“, sagt Kulturwissenschaftlerin Piesche. Weder die entwicklungspolitische Theorie noch die Praxis – und damit auch die Spendenwerbung – sind frei von stereotypen Bildern.
Die Journalistin Hadija Haruna lebt und arbeitet in Frankfurt und Berlin und ist Preisträgerin des Kausa Medienpreises 2012.
Foto oben: © dpa
Foto unten: Screenshot aus „White Charity“, CC BY-SA 3.0 DE