Gegen rassistische epistemische Gewalt an der Universität!

Gegen rassistische epistemische Gewalt an der Universität!
Statement zum Kolloquium “Von epistemischer Gewalt zu epistemischem Ungehorsam? Dekoloniale und feministische Herausforderungen” am 16.05.2014, organisiert vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin
Dieses Statement hat den Zweck, die rassistischen Vorfälle, zu denen es auf einer öffentlichen Veranstaltung der Humboldt-Universität im Mai 2014 kam, in einem größeren Kreis öffentlich bekannt zu machen und zu einem Umdenken an deutschen Hochschulen in Bezug auf rassistische Alltagsgewalt aufzurufen. Es ist uns wichtig, zu betonen, dass es sich bei den geschilderten Vorfällen keineswegs um Einzelfälle handelt, sondern lediglich um einen exemplarischen Ausdruck der epistemischen Gewalt, der Schwarze, PoCs und Rroma sowohl auf struktureller als auch auf individueller Ebene tagtäglich im akademischen Betrieb ausgesetzt sind. In diesem Fall sind die verantwortlichen Professor_innen im Wesentlichen in den Gender Studies, den American Studies und den Sozialwissenschaften angesiedelt. Dies sind nun gerade diejenigen Disziplinen, in denen zumindest vereinzelt der Versuch unternommen wird, sich mit rassistischen Strukturen zu beschäftigen und diese abzubauen. Es ist deshalb wichtig, sich bei der Lektüre dieses Statements vor Augen zu halten, dass in weiten Teilen der deutschen Hochschullandschaft  jegliches Bewusstsein für die eigene Verstrickung in rassistische Herrschaftssysteme fehlt, so dass die hier geschilderte Gewalt noch weit extremere Formen annehmen kann und oft in noch höherem Maße normalisiert und akzeptiert wird.
Am 16.05.2014 sollte Encarnación Gutiérrez Rodríguez auf dem vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) organisierten, öffentlichen Kolloquium „Von epistemischer Gewalt zu epistemischem Ungehorsam? Dekoloniale und feministische Herausforderungen“ an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) einen Vortrag zum Thema „Wenn die Rhetorik nicht ausreicht – Fragen zur sozialen Ungleichheit an Hochschulen. Eine materialistische und dekoloniale feministische Perspektive“ halten. Aufgrund des vielversprechenden Titels waren für diesen Vortrag im Gegensatz zum restlichen Kolloquium viele Schwarze, PoCs, Rroma, und weiße, die sich im contra-rassistischen Spektrum verorten – sowohl Studierende als auch Nicht-Studierende – anwesend.
Unsere Überraschung sowie unser Bedauern waren groß, als wir feststellen mussten, dass Encarnación Gutiérrez Rodríguez nicht anwesend sein würde und stattdessen die weiße Amerikanistin Sabine Broeck ihren eigentlich für den Vormittag angekündigten Vortrag halten würde. Sabine Broeck ist die Leiterin der Research Group Black Knowledges in Bremen, die bereits seit ihrer Gründung stark in die Kritik geraten ist, weil an dieser Gruppe ausschließlich weiße Forscher_innen beteiligt sind. Diese weiße Re_produktion von Wissen über Schwarze Menschen sowie das weiße Profitieren von der Wissensproduktion Schwarzer Menschen sind offensichtliche Beispiele für genau die kolonial-rassistische epistemische Gewalt, der das Kolloquium unserem Verständnis nach entgegenwirken wollte. Vor diesem Hintergrund ist aus unserer Sicht bereits die Einladung von Sabine Broeck als Referentin und damit als Expertin zu epistemischer Gewalt und dekolonialem Widerstand in der Wissenschaft unverständlich.
Mindestens ebenso unverständlich ist, wie das ZtG dann ein Podium stattfinden lassen konnte, auf dem alle bekannten rassistischen Muster exakt wiederholt wurden. Schon wieder tauschte sich eine weiße Vortragende mit einer weißen Kommentatorin (Ina Kerner, Juniorprofessorin für Diversity Politics am Institut für Sozialwissenschaften der HU und Mitglied des ZtG) und einem weißen Moderator über die Rassismuserfahrungen Schwarzer Menschen, deren Widerstandsstrategien und wie diese zu „verbessern“ seien aus. Wider besseren Wissens und trotz jahrzehntelanger Wissensansammlung haben Sabine Broeck, Ina Kerner und das ZtG Gayatri Chakravorty Spivaks Frage, „Can the subaltern speak?“, wieder einmal grandios beantwortet: Sie könnte, aber ihre Stimme wird systematisch zum Schweigen gebracht.
Tatsächlich hat Sabine Broeck dann in ihrem Vortrag zur besonderen Problematik des anti-Schwarzen Rassismus insbesondere in universitären Kontexten zwar erwähnt, dass ihre eigene Positionierung als weiße, deutsche Professorin, die zu diesen Themen spricht, nicht ideal ist. Sie hat aus dieser Feststellung jedoch keinerlei Konsequenzen gezogen. Ganz im Gegenteil zeigte sich die mangelnde kritische Reflexion ihrer eigenen Macht-/Position dann umgehend in ihrer gewaltvollen und elitären Vortragsweise, durch die wiederum epistemische Gewalt gegen genau die nicht-akademischen Schwarzen, PoCs und Rroma ausgeübt wurde, deren Lebensrealitäten und Rassismus-Erfahrungen als Rohmaterial für weiße akademische Wissensproduktion ausgebeutet werden.
Intensiviert wurde diese Gewaltausübung durch Sabine Broeck, als sie begann, eine nicht enden wollende Flut von Zitaten vorzulesen, in denen aus der Sicht von Betroffenen die schlimmsten und grausamsten anti-Schwarzen Rassismuserfahrungen detailliert beschrieben wurden. Beispielsweise beschrieben Schwarze Menschen in diesen Zitaten, dass weiße Schwarze Menschen mit dem „n-word“ benannten (hier wurde das n-word von Sabine Broeck auf Englisch ausgesprochen), zu „Gegenständen“ machten und wie „lumps of flesh“ behandelten. Diese extrem gewaltvollen und (re)traumatisierenden Begriffe und Bilder in großer Zahl aus dem Mund einer weißen Professorin hören zu müssen ist in sich eine Zumutung für alle anwesenden Schwarzen, PoCs und Rroma, die mit diesen Begriffen und Erfahrungen in ihrem täglichen Leben zur Genüge konfrontiert sind. Dies gilt auch, wenn weiße  dabei Zitate von Schwarzen benutzen.
Sollte es Sabine Broeck darum gegangen sein, ihre Zuhörer_innen durch diese Anhäufung extrem graphischer Zitate zu schockieren und wachzurütteln, so lässt sich daraus nur schlussfolgern, dass sie ihre Zuhörer_innenschaft als ausschließlich weiß imaginiert haben muss. Selbst die Anwesenheit von Schwarzen und PoCs bei ihrem Vortrag hinderte sie jedoch nicht daran, sich dieser extrem gewaltvollen Sprache zu bedienen.
Ja, rassistische Gewalt gegen Schwarze kann und muss deutlich benannt werden, aber es macht einen großen Unterschied, wer dies in welchem Kontext auf welche Art und Weise und zu welchem Zweck tut. Sollte es nicht vermeidbar sein, sich rassistischer Sprach-Re_Produktion zu bedienen, so bedarf es zumindest einer vorherigen Warnung für diejenigen, die von dieser Gewaltausübung unmittelbar betroffen sind. Die sachlich nicht notwendige, gehäufte, lustvolle Re_Produktion verbaler rassistischer Gewalt durch weiße Menschen ist und bleibt eine Ausübung genau jener epistemischen Gewalt, die Gegenstand des Kolloquiums hätte sein sollen.
Ein trauriger Höhepunkt war erreicht, als Sabine Broeck in ihren eigenen Worten (d.h. nicht als Teil eines Zitats) Schwarze mit dem N-Wort bezeichnete – ausgesprochen und ohne jegliche Qualifizierung. Stellt das Aussprechen von rassistischen Fremdbezeichnungen in Zitaten durch weiße bereits eine Form von epistemischer Gewalt dar, so ist mit der Verwendung des N-Worts im eigenen wissenschaftlichen Diskurs eine exorbitante Steigerung rassistischer Gewaltausübung erreicht.
Aus diesem Grund verließen einige Anwesende den Raum, um dieser Gewalt nicht länger ausgesetzt sein zu müssen und um ihren Widerstand gegen Sabine Broecks rassistischen Vortrag deutlich zu machen. Sabine Broeck ignorierte diesen offensichtlichen Protest und versuchte, ihren Vortrag einfach fortzusetzen. Erst durch die entschiedene Intervention einer Rromni konnte Sabine Broeck in ihrem Vorhaben gestoppt und zur Rede gestellt werden. Sie versuchte zunächst, den Gebrauch des N-Worts als „offensichtlich [sic] überspitzt und ironisch“ zu legitimieren und wollte dann das N-Wort „zurücknehmen“, um mit dem Vortrag fortzufahren. Während auch der weiße Moderator Sabine Broeck bei diesem Vorhaben unterstützte, musste erst die intervenierende Rromni klarstellen, dass nicht die gewaltausübende Person (in diesem Fall Sabine Broeck) entscheiden kann, wie mit ihrer Gewaltausübung umzugehen ist. Vielmehr ist es an den von dieser rassistischen Gewalt betroffenen Personen zu entscheiden, wie und ob fortgefahren werden kann. Der Forderung nach einer 10-minütigen Pause stimmt das Podium nur widerwillig zu.
Da die Betroffenen, die den Raum verlassen hatten, und deren Allies befürchten mussten, dass Sabine Broeck sich auch weiterhin typischer weiße Derailing-Strategien (weiße Verteidigungs-, Ablenkungs- und Abwehrstrategien) bedienen würde, wodurch erneut rassistische Gewalt ausgeübt würde, bestanden sie darauf, dass Sabine Broeck ihren Vortrag nach der Pause nicht mehr fortsetzen sollte. Stattdessen sollte Ina Kerner direkt mit ihrem Kommentar fortfahren. Als dieser Beschluss nach der Pause verkündet wurde, bediente eine weiße Person aus dem Publikum*  sich gleich der nächsten weißen Abwehrstrategie und bezeichnete diesen Beschluss nun seinerseits als gewaltvoll gegenüber Sabine Broeck und als Anlegen eines „Maulkorbs“ [sic]. Dies war ein trauriger Versuch, die gegebenen Machtverhältnisse zu verschleiern und umzudrehen. Erneut musste von Betroffenen klargestellt werden, dass Unterdrückung sich nicht willkürlich umdrehen lässt und nur von oben nach unten und nicht von unten nach oben funktioniert, bevor ihrem Beschluss stattgegeben wurde und Ina Kerner ihren Kommentar begann.
In ihrem Kommentar zu Sabine Broecks Vortrag bezeichnete Ina Kerner die Zentrierung Schwarzer Perspektiven und Anliegen in anti-rassistischen Kämpfen an der Universität (wie sie Sabine Broeck gefordert hatte) als „Unterdrückungs-Olympiade,“ durch die andere anti-rassistische Kämpfe z.B. gegen Anti-Semitismus, Anti-Rromaismus und anti-muslimischen Rassismus angeblich verdeckt würden. Damit diskreditierte Ina Kerner aus ihrer weißen Perspektive bestehende Allianzen und Solidarität zwischen People of Color, die sich bewusst und aus strategischen Gründen gemeinsam entscheiden, an bestimmten Stellen speziell Anliegen von Schwarzen zu priorisieren. Die extreme Ironie, dass eine weiße Professorin über das angebliche Leiden von Rroma unter der Zentrierung Schwarzer Menschen und Perspektiven in universitären Kontexten doziert, während sie und andere weiße sich aktiv gegen die Intervention einer anwesenden Rromni gegen die Verwendung des N-Wortes wehren, ist wohl nur wenigen Anwesenden aufgefallen. Es ist auch bezeichnend, dass weißen immer ausgerechnet dann die Wichtigkeit von Kämpfen gegen bestimmte Formen von Rassismus einfällt, wenn es darum geht, damit andere anti-rassistische Kämpfe zu diskreditieren. Auf dieses Ausspielen von Rroma und PoC Aktivist_innen gegen Schwarze Aktivist_innen, auf diese altbekannte Strategie des „Teile und Herrsche“ haben wir wirklich keine Lust. Die solidarischen Zusammenschlüsse von Schwarzen, Rroma, und PoCs bedürfen keiner Legitimation durch eine weiße Wissenschaftlerin.
Darüber hinaus nahm Ina Kerner in ihrem Kommentar mit keinem Wort Bezug auf die rassistische Gewalt, die Sabine Broeck in ihrem Vortrag ausgeübt hatte. Auch der Protest der Anwesenden blieb gänzlich unerwähnt. Stattdessen bedankte sie sich für den „sehr interessanten Vortrag [ihrer] geschätzten Kollegin“ und verlas ihren offensichtlich im Voraus vorbereiteten Kommentar.
Auch dieser weiße Schulterschluss zwischen der Vortragenden und der Kommentatorin stellt eine bekannte Strategie epistemischer Gewaltausübung dar, die darauf abzielt, anti-rassistischen Widerstand zum Schweigen zu bringen und durch Verschweigen und Ignorieren seiner Wirkung zu berauben. Letztlich soll so der rassistische Status quo mit allen Mitteln auch gegen expliziten Widerstand erhalten werden. Die bittere Ironie, dass dies alles ausgerechnet auf einem Kolloquium geschah, auf dem explizit die Möglichkeiten des „dekolonialen epistemischen Ungehorsams“ ausgelotet werden sollten, muss wohl kaum extra erwähnt werden.
Diese Strategie des Verschweigens und der weißen Solidarität setzt sich bis heute fort, da weder das ZtG noch die beteiligten Einzelpersonen jemals öffentlich Position zu diesen Vorfällen bezogen haben. Ganz offensichtlich wird darauf gesetzt, dass die rassistischen Vorfälle jenseits des Kolloquiums nicht bekannt werden, damit unter dem Deckmantel weißer Verschwiegenheit der kolonial-rassistische Normalzustand aufrecht erhalten werden kann. Wir fordern deshalb
1) eine öffentliche Verantwortungsübernahme des ZtG, wie es sein kann, dass es immer wieder zu solchen rassistischen Vorfällen innerhalb des ZtG kommt.
2) eine öffentliche Entschuldigung von Sabine Broeck, Ina Kerner und des ZtG.
3) keine weiteren Konferenzen oder Kolloquien zu Rassismus und Kolonialismus, bei denen mehrheitlich weiße zu Wort kommen.
4) eine Beschränkung der Verwendung rassistischer und kolonialistischer Sprache und Bilder auf das für wissenschaftliche Analyse und Kritik absolut notwendige Maß.
5) vor der Verwendung rassistischer und kolonialistischer Sprache und Bilder explizit darauf hinzuweisen, dass diese verwendet werden.
Dieses Statement wurde verfasst von schockierten Anwesenden.
Zusätzlich wird dieses Statement und die darin enthaltenen Foderungen unterstützt von:
ISD Bund e.V. (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland)
ISD Berlin e.V.
ISD Hamburg e.V.
IniRromnja
Rroma -Informations – Centrum e.V.
Romano Svato – Verein für transkulturelle Kommunikation e.V.
ADEFRA  e.V.
AK UniWatch
Fachschaftsinitiative Gender Studies (HU Berlin)
Fachschaftsinitiative Slawistik & Hungarologie (HU Berlin)
Bitte beachten Sie, dass dieser Briefwechsel von uns öffentlich geführt wird und wir dieses Anschreiben sowie Ihre Antwort zu Zwecken der Dokumentation und Aufklärung veröffentlichen.
Statement zum Kolloquium Korrigiert (.pdf zum Download)
* In einer früheren Version dieses Statements haben wir diese Person fälschlicherweise als Ulrike Vedder identifiziert. Wir entschuldigen uns aufrichtig für diese Verwechslung.