Gegendarstellung von Teilnehmenden des anti-rassistischen Workshops am 10.11.2016 an der Frankfurter Universität

Gegendarstellung von Teilnehmenden des anti-rassistischen Workshops am 10.11.2016
Angesichts der rassistischen und falschen Berichtserstattung gegenüber Tahir Della möchten wir uns als Teilnehmende dieses Workshops mit ihm und seinem Kollegen Timo Kiesel solidarisch zeigen und aus einer Innenperspektive berichten.
Wir positionieren uns hiermit klar gegen die Darstellung der Jungen Alternative Frankfurt am Main (JA) und möchten die problematische Reaktion der Goethe-Universität auf diesen Vorfall kritisieren.
Hintergrund
Am 10. November 2016 fand der Workshop „Rassistisch? – ich doch nicht! -Rassismuskritische Sensibilisierung im Hochschulkontext“ statt, der durch das Gleichstellungsbüro der Goethe-Universität (GU) organisiert wurde. Der Workshop wurde von den beiden Teamenden Tahir Della und Timo Kiesel vom bildungspolitischen Verein glokal e.V.  durchgeführt. Seit über zehn Jahren bietet der in der politischen Bildungsarbeit etablierte Verein bundesweit Workshops, Beratungs- und Fortbildungsangebote für unterschiedliche Institutionen an. Insgesamt nahmen ca. 12 Studierende der GU teil – zudem war eine Mitarbeiterin des Gleichstellungsbüros anwesend. Die Veranstaltung richtete sich primär an Studierende, die selbst keine Rassismuserfahrungen machen und sich eben für das Thema sensibilisieren wollten. Im Workshop wurden anhand verschiedener Methoden einführende Inputs zu Rassismus gegeben, bei dem sich die Teamenden an wissenschaftlich anerkannten Theorien orientierten, die Rassismus als Teil gesellschaftlicher Strukturen begreifen und somit darlegen, dass Rassismus sowohl im Alltag als auch institutionell verankert ist. Dabei haben wir uns außerdem mit folgenden Fragen auseinandergesetzt: ‚Was hat Rassismus mit mir zu tun?‘, ‚Welche Privilegien entstehen für mich innerhalb und außerhalb der GU dadurch, dass ich als Weiß wahrgenommen werde?‘ und ‚Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich, wenn ich rassistische Situationen innerhalb und außerhalb der Hochschule beobachte?‘.
Konflikte im Seminar 
Während des siebenstündigen Workshops fiel uns früh der Teilnehmer Jonas Batteiger auf, der offen äußerte, mit dem vorgestellten Rassismus-Konzept des Seminars „nicht einverstanden“ zu sein und viel Raum für seine ‚eigenen Thesen‘ über Rassismus einnahm.
Von unserer Seite wurde mehrmals auf seine rassistische Sprache, sein dominantes Auftreten und sein provokatives Verhalten hingewiesen. Trotz seiner rassistischen und z.T. sexistischen Aussagen haben wir weiterhin versucht, mit ihm zu diskutieren. Zu diesem Zeitpunkt war uns noch nicht klar, dass es sich bei ihm um ein organisiertes Mitglied der Jungen Alternative handelt.
Auch von Seiten der Teamenden mussten Diskussionen wiederholt unterbrochen werden, weil er sich nicht nur Teilnehmer*innen gegenüber unverschämt verhielt, sondern sich auch gegenüber Tahir Della konkret rassistisch äußerte. So nahm er mehrmals direkt Bezug auf ihn – als einzigen Schwarzer Mann im Raum – um, seine rassistischen Thesen zu ‚belegen‘. In  einer anderen Situation, als Tahir Della von eigenen Rassismuserfahrungen durch ‚racial Profiling‘ im öffentlichen Nahverkehr berichtete, leugnete der Teilnehmende die rassistische Dimension darin sinngemäß mit den Worten: „aber es ist doch Fakt, dass nordafrikanische Banden am [Frankfurter] Hauptbahnhof Drogen verkaufen“. Doch nicht nur die rassistischen Erfahrungen des Teamers, sondern auch Sexismus- Erfahrungen von Teilnehmerinnen sprach er den Betroffenen ab. Spätestens an dieser Stelle wurde uns klar, dass er weder inhaltliches Interesse am Workshop hatte, noch die Bereitschaft, sich kritisch mit Rassismus und anderen strukturellen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen auseinander zu setzen. Die Atmosphäre und die inhaltliche Diskussion des Workshops wurden durch sein Verhalten, seine persönlichen Angriffe auf den Teamenden Tahir Della und auf die Teilnehmenden gestört.
Kalkulierte Materialsammlung und rechte Stimmungsmache 
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Jonas B. Mitglied und Beisitzer im Landesvorstand der ‚JA für Deutschland Hessen‘ ist und seine ‚Workshop-Erlebnisse‘ in Form eines YouTube- Videos am 09.12.16 veröffentlichte, in dem er klar rechtspopulistische Botschaften verbreitet. Er spielte wohl gezielt den ‚provokativen Unwissenden‘, um sich anschließend in klarer rechtspopulistischer Manier am Workshop abzuarbeiten und antirassistische Arbeit abzuwerten. Er unterstellt darin Tahir Della zur Gewalt gegen Polizeibeamt*innen aufgerufenzu haben. Ferner verdreht er die im Workshop vorgestellten Konzepte und diskreditiert die Teamenden, Teilnehmende und die Mitarbeiterin des Gleichstellungsbüros. Letztlich kommt er zu dem absurden Schluss, dass Antidiskriminierung die eigentliche, neue Diskriminierung sei, welche ‚aufgehalten werden‘ müsse.  Wie im FAZ-Artikel richtig dargestellt, fiel im Seminar an keiner Stelle ein Aufruf zur Gewalt gegen Polizeibeamt*innen oder anderen Personen. Tahir Della und Timo Kiesel wiesen lediglich darauf hin, dass ‚racial profiling‘ eine diskriminierende Praxis ist und Interventionen gegen rassistische Polizist*innen und Unterstützung der Betroffenen wichtig sind. Die Veröffentlichung des Videos ging einher mit einer Pressemitteilung auf der Facebook-Seite der JA Frankfurt am Main, auf der sich der rechtspopulistische Gewalt-Vorwurf gegen Tahir Della wiederfindet – gemeinsam mit zahlreichen rassistischen Kommentaren, darunter auch Mordaufrufe  gegen Linke und Antirassist*innen.
Problematische Reaktion der Goethe-Universität 
Zwischen dem Workshop und dem Erscheinen des Videos samt JA-Pressemitteilung ist mehr als ein Monat (!) vergangen, in der die GU weder den Kontakt zu uns Workshop-Teilnehmenden noch den Referenten gesucht hat. Obwohl die GU sogar bestätigt, dass die Vorwürfe nicht der Wahrheit entsprechen, hat sie sich dazu entschieden, die Zusammenarbeit mit glokal e.V. nicht fortzuführen. Tahir Della wurde nicht nur verleumdet, die Teamenden erfuhren erst aus der Presse von dem Ende der Zusammenarbeit seitens der Goethe-Universität.
Die GU versucht diese Entscheidung auf drei Ebenen zu begründen:

       Erstens sagt sie, dass die „Ausführungen [im Workshop] nicht dem liberalen Selbstverständnis der Universität“ entsprächen. Dabei stellt sich die Frage, von welchem ‚liberalen Selbstverständnis‘ die GU ausgeht. Es wirkt beinahe so, als ließe sich die GU von der JA diktieren, was sie unter ‚liberalem Selbstverständnis‘ zu verstehen hat, anstatt sich angemessen von der JA und ihren rassistischen Inhalten zu distanzieren!

      Zweitens behauptet Anja Wolde, die zentrale Gleichstellungsbeauftragte der GU, man habe sich an dem Aufruf zum ‚zivilen Ungehorsam‘ gestört. Durch diese Distanzierung von zivilem Ungehorsam impliziert die GU, dass auf rassistische Praxen nur im Rahmen regelkonformer Verhaltensweisen reagiert werden dürfe. Sie verkennt den darin enthaltenen Widerspruch: ein angemessenes Reagieren auf auf Unrecht basierenden rassistischen Praxen kann sich nicht auf rassistisch geprägte Rechtsnormen beziehen (Bsp. ‚racial profiling‘).
      Drittens stellt die Universität die Legitimität der Workshop-Leitenden in Frage, indem sie behauptet: „möglicherweise seien die Referenten auch infolge eigener Betroffenheit befangen“ (s. FAZ 9.12.) gewesen. Diese Argumentationsweise ist höchst problematisch, da sie die Erfahrungen von Betroffenen nicht anerkennt. Folgt man dieser absurden Logik, dürften von Antisemitismus Betroffene nicht über Antisemitismus sprechen und Frauen nicht über Sexismus. Die fatale Konsequenz daraus ist, dass nur noch als Weiß gelesenen Personen die Kompetenz zugesprochen wird, über Rassismus referieren zu können. Dies ist nicht nur widersinnig, sondern auch schlicht nicht hinnehmbar.
Unsere Erfahrung
Für uns als Teilnehmende war der Workshop sehr wichtig. Wir haben uns mit der europäischen Kolonialgeschichte und ihren Auswirkungen bis heute auseinandergesetzt. Oft waren wir sehr entsetzt über die Menschenverachtung, die bis heute in vielen Köpfen steckt und die konkreten Konsequenzen, welche die weltweiten Machtverhältnisse, mit sich ziehen. Auch wurde uns bewusst, dass die Universität kein diskriminierungsfreier Ort ist und somit ebenso strukturellen Rassismus sowie Sexismus reproduziert. Das Angebot zu einem solchen Workshop ist aus unserer Sicht unentbehrlich, denn wir finden gerade als angehende Akademiker*innen ist es unsere Pflicht, unsere soziale Position in der Gesellschaft zu reflektieren, uns unsere Privilegien bewusst zu machen und uns solidarisch mit strukturell benachteiligten Personen und Gruppen zu zeigen.
Während des Workshops hatten wir alle die Möglichkeit, uns frei zu äußern und unsere eigenen Rassismen zu reflektieren. Die Teamenden schufen trotz der problematischen Situation mit dem Teilnehmer Jonas B. eine angenehme Atmosphäre, in der Fragen offen gestellt werden durften und in der eine Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse und der eigenen Rolle darin möglich war.
Dies war eine einzigartige Erfahrung, welche allein schon aufgrund des herrschenden Leistungsdrucks und des ungeschützten Raumes in Seminaren im Rahmen des Studiums nicht erlebt werden kann. Die Qualität des Workshops lag gerade darin sich Rassismus nicht ausschließlich, wie in den meisten Seminaren üblich, auf abstrakt-theoretischer Ebene anzunähern, sondern zusätzlich auf konkrete Situationen und Erfahrungen zurückgreifen zu können. Dadurch wurde uns die Chance gegeben, voneinander zu lernen und die Methoden der Teamenden anzunehmen.
Für uns Studierende war es eine enorme Bereicherung, den Workshop gerade aus der Sicht einer von Rassismus betroffenen Person zu erhalten, da eben diese Perspektive in den meisten universitären und medialen Auseinandersetzungen zum Thema Rassismus schlichtweg fehlt. In Zeiten einer erstarkenden Rechten ist es notwendig, Menschen mit Rassismuserfahrung mehr Gehör zu verschaffen, deren Erfahrungen anzuerkennen, diese Qualität der Expertise besonders wertzuschätzen und sich solidarisch zu zeigen!
Unsere Forderungen an die GU
Wir sind empört über die Reaktion der GU und können diese nicht nachvollziehen. Ihrem ‚liberalen Selbstverständnis‘ nach, sollte die GU eine klare abgrenzende Positionierung gegenüber solchen rassistischen und neurechten Positionen beziehen. Stattdessen vertraut sie offenbar Gerüchten eines Rechtspopulisten und schützt ihre Mitarbeiter*innen nicht vor derartigen Anfeindungen.
Mittlerweile hat sich die GU zu den Vorwürfen geäußert und sich für ihr Verhalten entschuldigt, allerdings reicht dies unseres Erachtens nicht aus, da sie auf andere Forderungen nicht eingegangen ist.
Wir fordern deshalb, dass…

  • Das Gleichstellungsbüro die stattgefundene Evaluation durch uns Teilnehmende veröffentlicht und somit auch die Perspektive von den Teilnehmenden miteinbezogen wird.
  • Die GU, sich selbst als „divers“ verstehend, sich nicht nur allgemein von Rassismusund Rechtspopulismus distanziert, sondern dies konkret gegenüber der AfD tut.
  • People of Color (PoC) als Referent*innen weiterhin eingeladen werden, indem das anti-rassistische Workshop-Angebot weiter ausgebaut wird.
  • Die GU die Entscheidung, nicht mehr mit glokal e.V. zusammenzuarbeiten zurücknimmt. Denn die Forderung nach zivilem Ungehorsam bei rassistischen Kontrollen, stellt für uns keinen ausreichenden Grund dar, um die Zusammenarbeit einzustellen. Vielmehr halten wir zivilen Ungehorsam bei undemokratischen Praktiken für einen Ausdruck von Zivilcourage!

Kontakt: antira_WorkshopGU@web.de
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