Offener Brief: Institutioneller Rassismus in den deutschen Sicherheitsbehörden

Nach einem Interview in der Tageszeitung der “TAZ”, das der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft gegeben hat, haben wir einen offenen Brief verfasst.
Sehr geehrter Herr Witthaut,
nach dem Lesen Ihres Interviews, das am 22. Dezember 2012 in der taz erschienen ist, müssen wir, als Aktivist_innen der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, leider feststellen, dass auch Sie als Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei das Problem des institutionellen Rassismus lieber  „wegerklären” und somit dem strukturellen Rassismus mit dem Schwarze Menschen und People of Color in Deutschland konfrontiert sind weiterhin Vorschub leisten.
Nach dem Lesen des Interviews würden wir gerne wissen, mit welcher Rassismusdefinition Sie arbeiten? Aus unserer Sicht kann und darf Rassismus nicht auf das Problem des Rechtsextremismus reduziert werden. Rassismus bezeichnet stattdessen auch Rassismen, die von Institutionen der Gesellschaft, von ihren Gesetzen, Normen und internen Logik ausgehen. Die Individuen, die in diesen Institutionen arbeiten und somit Repräsentant_innen dieser sind, tragen ihre Vorteile in diese hinein und so kommt es zu einer Verschränkung von Vorurteilen und Macht, die sich am mehrheitsgesellschaftlichen Diskurs orientiert. Unabhängig davon inwiefern Akteure innerhalb der Institutionen absichtsvoll handeln oder nicht. Deshalb müssen Machtasymmetrien in eine adäquate Rassismusdefinition einfließen.
Menschen mit Migrationsgeschichte sehen sich immer wieder mit Ungleichbehandlung konfrontiert, die letztlich in der Reproduktion von Rassismen mündet. Diese Art der „Entgleichung“ findet sich auch in Ihrem Kommentar zur Einstellungspraxis der Polizei. Hier sagten Sie:
“Unsere Anforderungen sind hoch, auch die gesundheitlichen. Aber wir sind dagegen, das Niveau der Einstellungstests abzusenken, denn wir wollen keine Polizisten zweiter Klasse schaffen. “
Die Annahme, dass Menschen mit Migrationsgeschichte weniger qualifiziert oder den gesundheitlichen Ansprüchen der Polizei nicht gewachsen sein, stellt an sich schon einen Hierarchisierungsprozess dar. Sind also Menschen mit Migrationsgeschichte prinzipiell ungeeignet für den Polizeidienst und wenn ja, woraus erklärt sich das ihrer Meinung nach?
Im Zuge der Debatte zu den NSU Morden, in der den deutschen Sicherheitsbehörden Versagen in Sachen „Rassismus erkennen“ vorgeworfen wurde und dem breit diskutierten „Racial Profiling“, also Polizeimaßnahmen die diskriminierende Verwendung von Zuschreibungen (wie ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, nationale Herkunft oder Religion) als Grundlage für Identitätskontrollen verwenden, wurde immer wieder von den Verantwortlichen bestritten, es gäbe in ihren Reihen ein strukturelles Rassismus Problem.
Umso interessanter ist es, dass Sie mit Ihrem nachfolgendem Statement nicht nur alltagsrassistische Erfahrungen Schwarzer Menschen verharmlosen, sondern auch das soeben beschriebene „Racial Profiling“ legitimieren:  “In der Region, aus der ich komme, gibt es zum Beispiel ein Asylbewerberheim, von dem die Polizei weiß, dass da mit Rauschgift gehandelt wird. Da leben viele Menschen aus afrikanischen Ländern, von ihnen bestimmen viele die Drogenszene“ und „Wenn ein Polizist dann so jemanden am Bahnhof in Osnabrück sieht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Stoff dabei hat, ziemlich hoch.“
Was bedeutet in diesem Kontext „so jemanden“. Kennt die Polizei alle im Asylbewerberheim lebenden Afrikaner_innen? Oder ist es so, dass die Polizei anhand äußerer Merkmale profilit?
Wer hier nicht erkennt, wie rassistisch und diskriminierend ein solches Denken ist, vermag natürlich auch nicht zu erkennen, was institutioneller Rassismus ist.
Herr Witthaut, es wundert uns deshalb nicht, dass Sie einer unabhängigen Beschwerdestelle nichts abgewinnen können  und sagen „ich finde es falsch, die Polizei unter einen Pauschalverdacht zu stellen“ denn „das wird mit so einer Beschwerdestelle suggeriert“.  Folglich können Sie dann aber auch verstehen, warum es uns genauso geht. Wir erachten es als falsch unter Generalverdacht gestellt zu werden und aufgrund unserer äußeren Merkmale eine andere Behandlung zu erfahren als die weiße Mehrheitsgesellschaft.
Trotzdem haben Sie anscheinend kein Verständnis für  unsere Kritik an „Racial Profiling“, da Sie erwidern „Wenn ich nichts zu verbergen habe, dann kann ich mich ja auch kontrollieren lassen, oder?” und verkennt dabei dass es diskriminierend und ausgrenzend ist wenn Mensch ständig so behandelt wird, als ob er potenziell kriminell ist. Und auch hier lässt sich Gleiches an Sie zurückgeben: Wenn die Polizei nichts zu verbergen hat, warum dann keine unabhängige Kontrollinstanz einführen?
Für uns wäre es also hilfreich, wenn Sie noch einmal darlegen könnten, warum die Polizei mit einem anderen Maßstab bemessen werden soll als wir?
Wir behalten uns die Veröffentlichung dieses Schriftverkehrs vor.
Mit besten Grüßen
Initiative Schwarze Menschen (ISD) Bund e.V.