The white man’s fantasy

…..in Filmen und Musikvideos lässt sich oftmals eine Stereotypisierung und Stigmatisierung einzelner Menschen und Kulturen des Globalen Südens feststellen.
By Elias Dehnen
Jeder, der eine längere Wartezeit in der Nähe eines Zeitschriftenladens zu überbrücken hat, möge die Möglichkeit nutzen, den Lonely Planet Reiseführer „Die Welt“ durchzublättern – ihn wird ein buntes Feuerwerk voller Illustrationen atemberaubender Sehenswürdigkeiten, exotischer Speisen, fremder Kulturen und deren „Locals“ erwarten. Besonders der afrikanische Teil entfacht im eifrigen Betrachter plötzlich aufflammende Sehnsüchte nach dem Fernen, dem Ursprünglichen, dem wahren Leben. Gekonnt balancieren traditionell gekleidete Afrikanerinnen bunt-leuchtende Tonvasen auf ihren Köpfen. Ein kräftiger, mit ästhetischen Gesichtsmalereien verzierter schwarzer Mann schaut stolz in die Kamera. Und erst diese malerisch-romantische Steppenlandschaft – oh wie schön ist Afrika!
Ob dies eine realistische Darstellung Afrikas ist, stellen allerdings nur die Wenigsten in Frage. Während im Reiseführer bezüglich europäischer Länder vor allem Bilder majestätisch-prachtvoller Bauwerke gezeigt werden, wird Afrika hauptsächlich durch traditionell gekleidete Menschen im ländlichen Kontext repräsentiert. Während die Individualität europäischer Kulturen betont und als selbstverständlich angesehen wird, werden nicht nur in Reiseführern Menschen und Kulturen des Globalen Südens fortwährend in einer stereotypisierten Art und Weise dargestellt.
So findet etwa zwischen den unzähligen vor Ankunft der Europäer in Amerika lebenden indigenen Völkern, mit ihren unterschiedlichen Kulturen und komplexen Gesellschaftssystemen häufig keine Differenzierung statt, sie sind für viele Europäer bloß „die Indianer“. Damit sind ganz bestimmte Assoziationen verbunden. Diese Völker sind wild, primitiv, naturliebend, ursprünglich, unzivilisiert und ungebildet. Sie praktizieren barbarische Rituale, beherrschen exotische Tänze und sind glücklich, obwohl sie „doch nur so wenig haben“. All dies sind diffamierende und rassistische Gedankenmuster, welche im Endeffekt eine Legitimation für die grausame Ausbeutung, Unterdrückung und Ermordung der indigenen Völker in der Kolonialzeit darstellen sollte. Man müsse „die Wilden“ zivilisieren und erziehen, um ihr klägliches Leben lebenswert zu machen. Das Schlimme ist, dass diese in der Kolonialzeit entstandenen Gedankenmuster in den Köpfen vieler Europäer weiterhin Bestand haben, immer wieder tradiert und reproduziert werden. So singen die Kinder in einem bekannten deutschen Grundschullied fröhlich, dass „Indianer“ und „selbst am Nordpol alle Eskimos“ lesen lernen. Zudem wird im deutschen Sprachgebrauch immer noch das aus der Kolonialzeit stammende Wort „Häuptling“ verwendet. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Wortstamm „Haupt-“ und dem Suffix „-ling“, das eine verkleinernde (Lehrling), oft aber auch eine abwertende Konnotation (Feigling, Häftling usw.) hat.
Auch in Filmen und Musikvideos lässt sich oftmals eine Stereotypisierung und Stigmatisierung einzelner Menschen und Kulturen des Globalen Südens feststellen. Den kolonialen Fantasien sind dabei keine Grenzen gesetzt. Dem werten Leser sei hier das Musikvideo des neuen Coldplay-Songs „Hymn For The Weekend“ ans Herz gelegt. Die britische Band begibt sich dort im ärmlich anmutenden Mumbai ins Holi-Farbenmeer und performt umgeben von tanzenden Straßenkindern vor neugierigen indischen Zuschauern. Zwischendurch werden mystische Fantasiewesen eingeblendet und auch Beyoncé legt mit verziertem Sari und Henna auf den Händen einen Kurzauftritt hin. Sicherlich hatten weder die Künstler, noch die Produzenten mit einem derartigen medialen Ausbruch der Empörung nach der Veröffentlichung des Musikvideos gerechnet. So twitterte der indische Journalist Zakka Jacob: „Warum versteht es der weiße Mann nicht? Indien 2016 sind nicht nur Schlangenbeschwörer, Saris und Bollywood„. Wenn privilegierte Gruppen kulturelle Symbole marginalisierter Gruppen aufgreifen, spricht man von Cultural Appropriation (kulturelle Aneignung).
Zweifelsohne wird im farbenfrohen Video voller Pathos ein schönes Bild von Indien gezeichnet. Allerdings kein realistisches. Warum sieht man keinen einzigen Inder im Anzug, keinen der gigantischen Wolkenkratzer Mumbais? Natürlich kann man argumentieren, dass ein Musikvideo nicht mit einer Dokumentation gleichzusetzen ist, deren Ziel es ist, die Zuschauer über die Kultur eines bestimmten Landes aufzuklären. Dennoch ist es überaus problematisch, wenn immer wieder die gleichen klischeebehafteten Bilder tradiert werden, bis sie sich irgendwann in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben. Es entsteht das unterschwellig-rassistische Überlegenheitsdenken, dass die indische Bevölkerung vor allem aus ärmlichen, ungebildeten aber irgendwie doch so wahnsinnig faszinierenden Slumbewohnern besteht.
Zahlreiche Spendenorganisationen in Deutschland setzen sich für den Kampf gegen Ungerechtigkeit und Benachteiligung in Ländern des Globalen Südens ein. Dies geschieht öffentlichkeitswirksam mit Hilfe großer Spendenplakate, beispielsweise von Brot für die Welt, Kindernothilfe oder plan international. Der Deutsche Fundraising-Verband kommt in seiner Bilanz 2014/15 auf eine Schätzung des deutschen Spendenaufkommens auf vier Milliarden Euro. Mit Titelsprüchen wie „Schenken Sie Zukunft“ oder „Die Welt braucht gute Nachrichten. Sorgen Sie für eine. Werden Sie Pate!“ wird versucht, möglichst viele Spenden einzuholen. Stellvertretend sei hier auf das Plakat von Plan International eingegangen. Das Bild funktioniert in erster Linie über eine Reihe von Gegensätzen. Die Kinder werden aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe und ihrer ärmlichen Kleidung mit Hilfsbedürftigkeit assoziiert, während der weiße Prominente im Vordergrund als aktiver Helfer dargestellt wird. Der Mann ist das handelnde Subjekt, während die Kinder handlungsunfähig bzw. auf seine Hilfe angewiesen sind. Es wird ganz klar ein Abhängigkeitsverhältnis übermittelt, in welchem eine Bevormundung zutage tritt. Krass erscheint, dass die drei dargestellten Kinder nicht für sich selbst sprechen dürfen und so dargestellt werden, als ob sie nicht im Stande seien, selbst von ihrer Lebenssituation zu berichten. Die Kinder werden aus dem Kontext gerissen, ihr Name wird nicht genannt, sie werden zu reinen Objekten und so unfreiwillig zu Vertretern der gesamten afrikanischen Bevölkerung.
Tahir Della hat zu Spendenkampagnen wie dieser eine klare Meinung. Er ist Teil des Vorstandes von ISD-Bund e.V. (Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland), engagiert sich bei glokal (Berliner Verein für machtkritische Bildungsarbeit) und ist Fachreferent für Dekolonisierung im Berliner Promotorenprogramm. Im Interview mit Campus Echo kritisiert er vor allem die stereotypisierte Fremddarstellung der Menschen, für die gespendet werden soll: „Der Globale Süden wird immer sehr einheitlich präsentiert, man sieht die klassische Strohhütte, Steppe, Tiere, kaum bekleidete Menschen. So wird eine vermeintliche Abwesenheit von Kultur und Zivilisation suggeriert. Ich habe aber ganz andere Fantasien, wenn ich an Afrika denke. Natürlich geht es nicht darum Realitäten zu verschweigen, sondern mit der einseitigen Übermittlung dieser zu brechen. Klischeebehaftete Bilder beispielsweise von halbnackten afrikanischen Kindern können nicht als Mittel zum Zweck benutzt werden. Wenn ich etwas für Menschen zum Positiven verändern möchte, kann dies nicht auf dem Rücken dergleichen passieren.“
Frappierend ist, was der weiße Prominente mit seinem Lächeln und seiner Haltung bewirkt. Denn dies zeugt von einer moralischen Reinheit des Spendens. Es wird die Botschaft vermittelt, dass durch ein bloßes Spenden ausreichend getan ist. Dadurch wird das Verhältnis zwischen globalem Norden und Süden vollständig entpolitisiert und enthistorisiert. Dazu Tahir Della: „Die Ursachen für die Armut in vielen afrikanischen Staaten werden systematisch ausgeblendet. Es bestehen natürlich immer noch asymmetrische Abhängigkeiten und ausbeutende Strukturen, die oftmals ihren Ursprung in der Kolonialgeschichte Europas haben. Rohstoffe werden im Globalen Süden abgebaut, die eigentliche Wertschöpfung, also die Weiterverarbeitung, findet jedoch im Globalen Norden statt. Die europäische Fleischindustrie exportiert tausende Tonnen schwer verkäufliches Hühnerfleisch in afrikanische Länder und treibt dort mit Niedrigstpreisen die Bauern in den Ruin. Und das sind nur einige Beispiele. Solange diese Machtstrukturen nicht bekämpft werden, können einfache Spendenkampagnen nur kleine Hilfspflaster sein.“
Es kommt also zu einer Symptombehandlung, bei der erst einmal nichts gegen die Reproduktion dieser Umstände unternommen wird. Das Ziel von Spendenorganisationen ist es natürlich, eine größtmögliche Anzahl an Spenden zu sammeln, um in verschiedenen Projekten möglichst effektiv zu helfen. Obgleich hier nicht auf die Nachhaltigkeit und den Zweck dieser Projekte eingegangen werden soll, da dies ein weiteres hinreichend komplexes Thema darstellt, ist folgendes festzuhalten: Wenn Hilfsorganisationen Ungleichheiten bekämpfen wollen, diese jedoch in den Köpfen der Menschen durch Reproduktion der immer gleichen klischeebehafteten Bilder verstärken, wird das ursprüngliche Ziel klar verfehlt. Die präsentierten Menschen sollten als aktive Individuen mit eigenen Meinungen, Sichtweisen und Forderungen dargestellt werden. Zudem müssen globale Machtverhältnisse als Ursache der Armut thematisiert werden, anstatt zu suggerieren, dass einfache Lösungen, wie „Eine kleine Spende hilft…“ oder „Jetzt Pate werden…“ die missliche Situation der Menschen grundlegend verändern wird.