Durch Beleuchtung kolonialer Kontinuitäten den öffentlichen Diskurs bereichern

Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) arbeitet seit fast 30 Jahren aktiv daran, Menschen afrikanischer Herkunft und Schwarze Menschen in Deutschland zu empowern. Ziel ist es, ihre Stimmen zu stärken und ebenso ihre Perspektiven und Realitäten in der deutschen Gesellschaft sichtbar zu machen. Die ISD widmet sich der Herausforderung eines Diskurses, der Schwarze Präsenz in Deutschland weder sehen noch anerkennen will. Seit mehr als 300 Jahren werden Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland geboren, wachsen hier auf und haben Deutschland zu ihrer Heimat gemacht; doch finden Erzählungen über Schwarze Erfahrungen in Deutschland kaum Gehör. Während ihre Geschichten in der dominierenden Geschichtsschreibung nicht existieren, beherrschen stereotype Klischees die Darstellung der Schwarzen Diaspora.

Rassistische Bilder und Überzeugungen müssen im Zusammenhang mit historisch bedingten Machtverhältnissen verstanden werden, denn diese bedingen die verzerrten, vergangenen und gegenwärtigen, Abbildungen der Realitäten Schwarzer Menschen.

Dies muss auch durch die Linse des Kolonialismus interpretiert werden. In der deutschen Gesellschaft gibt es so gut wie kein Bewusstsein über deutsche Gräueltaten während der Kolonialzeit. Die Tatsache, dass die ersten Konzentrationslager in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Süd-West-Afrika, errichtet wurden, bleibt der breiten deutschen Öffentlichkeit unbekannt und wird in der Schulbildung weitestgehend ignoriert. Der Genozid an die Herero und Nama und die Spuren, die er in diesen Gesellschaften bis zum heutigen Tag hinterlassen hat, bleiben ungeklärt und gänzlich ohne Reparationsbemühungen von deutscher Seite.1 Daher ist es besonders beleidigend, dass Deutschlands „Entwicklungshilfe“ unangemessenerweise als Form der Wiedergutmachung für den Genozid gegen die Herero und Nama beworben wird. Entwicklungshilfe trägt ganz klar nicht zur Traumaheilung der kolonisierten Menschen bei, die in den Jahren 1904 bis 1908 einen Vernichtungskrieg erlitten2. Die Strategie der deutschen Regierung lenkt von den begangenen Gräueltaten ab und impliziert wieder einmal mehr, dass der Kolonisierer die Definition dessen übernimmt, was es an Reparatur zur Heilung für die betroffene Gruppe bedarf, anstatt die Mittel und Wege zu untersuchen und zu respektieren, die von der namibischen Gesellschaft ausdrücklich erwünscht sind.
Gruppen wie AfricaVenir, Berlin-Postkolonial e.V., AK Panafrikanismus e.V., Bündnis Decolonize München und Tanzania Network e.V. sowie die ISD und ADEFRA erklären sich solidarisch mit den Reparationsforderungen des globalen Südens. Im Jahr 2011 wurden 20 menschliche Überreste der Herero und der Nama an die Namibische Delegation zurück gereicht. Die Schädel waren in Namibia, nach dem Genozid zu „Forschungszwecken“ entwendet worden. Eine zweite Übergabe fand Anfang dieses Jahres statt. Viele weitere Gebeine befinden derweil noch für die Durchführung von Experimenten in deutschen Forschungskrankenhäusern und Archiven.3 Die aktive Unterstützung und Kampagnenarbeit in Deutschland stärkten die Position der namibischen Seite. Instrumente wie Interventionen, Medienaufrufe und Petitionen an den Deutschen Bundestag wurden genutzt, um den Druck auf die deutsche Regierung zu erhöhen, sodass sich diese endlich mit der Thematik beschäftigen würde.
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Die ISD sieht in der Wiedergutmachung nicht lediglich eine finanzielle Reparation an die Menschen afrikanischer Herkunft und Schwarze Menschen. Stattdessen bedarf es eines strukturellen Ansatzes, der die Berichtigung des gebrochenen Systems ermöglicht. Ein System, das nicht dazu gemacht ist, alle gleichberechtigt zu schützen und zu versorgen.
Der Conseil Représentatif des Associations Noires (CRAN) hebt in seinem Dossier „Esclavage et Réparation“ die Notwendigkeit zum aktiven Kampf gegen Rassismus hervor; dieser soll mittels „rechtlicher, moralischer, kultureller und symbolischer“4 Reparation das gebrochene System, welches Schwarze Menschen entrechtet zurücklässt, beheben.
Die fehlende Anerkennung von Kolonisation als ein Verbrechen gegen die Menschheit, ebenso wie die faktische Missachtung des Völkermordes an den Herero und Nama in Namibia, erlauben das Fortbestehen einer Darstellung der “Bürde des weißen Menschen“ und der “zivilisatorischen Notwendigkeit der Kolonisation“ für die sogenannten Entwicklungsländer.
Durch die fehlende (oder fehlgeleitete) Bildung bezüglich Deutschlands kolonialer Vergangenheit, wird Kolonialrassismus als valides Wissen weitergeführt. Diese historischen (Miss-)Konzepte verstecken sich hinter einer beleidigenden Terminologie. Entsprechend sind sprachliche Normen extrem wichtig für die öffentliche Aufarbeitung von bestehenden kolonialen Praktiken .
Eine Herangehensweise zur Aufklärung wird seit den 1990er Jahren durch verschiedene Initiativen gepflegt, so beispielsweise von Berlin-Postkolonial e.V., (freedom roads), München Postkolonial, AK Postkolonial, AK Panafrikanismus e.V., EDEWA, No Humboldt 21! etc. Hauptsächlich arbeiten sie an der Thematik der postkolonialen Stadt.
Dies beeinhaltet eine aktive Lobbyarbeit zur Umbenennung von Straßen, welche die Kolonialzeit und deren Kolonialmachthaber_innen glorifizieren; Ausstellungen, die urbane Manifestationen von kolonialen Kontinuitäten ausfindig machen und diskutieren; -Workshops, Stadtführungen, Performancestücke und Vorträge zur kolonialen Vergangenheit und ihre Bedeutung heute; sowie die Aufklärung von Schulklassen, Anwohner_innen und Kunstschaffenden über die totgeschwiegene Geschichte ihres Umfeldes.
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Diese konkreten Aktionen knüpfen an die oben genannte symbolische Dimension von Reparationsleistungen an. Um jedoch ihr volles Potenzial zu entfalten, muss sie mit der moralischen Komponente, die durch den äußerst wirkungsvollen öffentliche Diskurs repräsentiert wird, zusammengebracht werden. Öffentliche Debatten und Diskurse bilden und informieren die breite Bevölkerung und bewirken so ein „Verlernen“ von rassistischem Wissen in der Gesellschaft.
Im deutschen Kontext, sind diese Diskussionen zumeist in linken akademischen Räumen konzentriert, was die Frage aufwirft, wie eine erfolgreiche Wissenseinführung zur strukturellen Dimension von Rassismus an jene herangebracht werden kann, welche sich nicht in diesen Kreisen bewegen.
Die ISD fordert die weiße deutsche Geschichtsschreibung, welche Schwarze Menschen, ihre Geschichte und Deutschlands Beteiligung am Kolonialismus und an der Versklavung als irrelevant geringschätzt, heraus. Dies geschieht durch eben diese Bereicherung des öffentlichen Diskurses, den es zu dekolonisieren gilt.
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Von Keshia Fredua-Mensah & Jamie Schearer
 
Kontakt:
Jamie Schearer- jamieschearer@isd-bund.org
Über die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD)
Die ISD ist ein eingetragener Verein, der die Interessen und Diversitäten Schwarzer Menschen in Deutschland zu repräsentieren ersucht. Als solcher kämpft er gegen Rassismus in all seinen Ausformungen und versteht sich als politische und soziale Plattform in Deutschland. Die ISD arbeitet in den Bereichen Wahlkampf und Interessenvertretung in der politischen Sphäre und setzt einen starken Fokus auf die Communityformung und Vernetzung.
 


 
¹Ursula Trüper (21.05.2011): “Gewalt ist meine Politik” in Berliner Zeitung, http://www.berliner-zeitung.de/archiv/deutschland-errichtete-schon-als-kolonialmacht-in-afrika-erste-konzentrationslager-und-beutete-brutal-die-einheimischen-in-namibia-aus–davon-will-die-bundesregierung-offenbar-nichts-mehr-hoeren–gewalt-ist-meine-politik-,10810590,10788292.html
²Joshua Kwesi Aikins (2008): “Alltägliche Gegenwart der kolonialen Vergangenheit – Entinnerung, Erinnerung und Verantwortung in der Kolonialmeteropole Berlin” in Herta Däubler-Gmelin/ Ann Kathrin Helfrich/ Ekkehard Münzing/ Christian Walther (ed.), “Afrika: Europas verkannter Nachbar”, pp. 52.
³Simone Knapp (2013): “Der Völkermord in Namibia: Anerkennung und Wiedergutmachung stehen immer noch aus” http://www.no-humboldt21.de/wp-content/uploads/2013/12/knapp_2013_voelkermord_in_namibia.pdf
4CRAN – Conseil Représentatif des Associations Noires: “Esclavage et réparation” http://www.le-cran.fr/document-cran-associations-noires-de-france/18-brochure-sur-les-reparations-relatives-a-l-esclavage-.pdf