Kommentar: Raus mit den kolonialen Altlasten!

von Hadija Haruna
Die Verrenkungen, mit denen der Fortbestand diskriminierender Begriffe in Kinderbüchern verteidigt wird, sind beachtlich. Zeit-Journalist Ulrich Greiner empört sich, wie man „in der menschenfreundlichen Absicht, auf die Gefühle von Minderheiten Rücksicht zu nehmen“ zur „Zensur“ greife. Ob wir auf dem Weg zur Trottelsprache wären, fragt Spiegel-Autor Jan Fleischauer.
Zuletzt machte ARD-Buchmann Denis Scheck mit Blackface, schwarz angemaltem Gesicht und weißen Handschuhen ganz offen eine Anspielung auf die rassistische Tradition der Minstrel-Shows. Auf die „Absurdität der Diskussion“ habe er mit Mitteln der Satire reagieren wollen, hieß es. Schade, dass er dies auf dem Rücken schwarzer Menschen austrug.
Es ist offensichtlich, dass die Unterteilung in schwarz und weiß nicht als Beschreibung von Hautfarbe zu verstehen ist, sondern als ein gesellschaftliches Machtverhältnis. Es geht nicht darum, wie Rassismus empfunden wird, sondern darum, wer ihn definiert. Das „N-Wort“ wird rege genutzt. Journalisten und Autoren gebrauchen es für Schlagzeilen oder Buchtitel. Darauf angesprochen folgt nicht selten ein: „Sei doch nicht so empfindlich.“ Manchmal müssen in der Argumentation auch schwarze Freunde herhalten, die den Begriff in Ordnung finden wollen. Tatsache ist jedoch, dass die Begegnung mit dem N-Wort zur alltagsrassistischen Erfahrung schwarzer Menschen zählt – aus langer Tradition. Grada Kilomba, Professorin für Postkoloniale Studien, definiert in ihrem Essay „das N-Wort“ als Reinszenierung kolonialer Szenen, die das Gefühl von Unterlegenheit vermitteln. Erinnert sei an den Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama im heutigen Namibia Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals und später zählte Rassismus zum guten Ton und die Welt wurde von Kolonialismus und Antisemitismus geprägt. Es war normal, bestimmte Menschen abzuwertenund ihnen Namen zu geben. Schwarze Menschen in Deutschland wurden nicht dazu befragt. Werden sie es heute?
Ich frage mich, warum eine Gruppe in Deutschland so empfindlich reagiert. Muss mit dem N-Wort ein Teil des deutschen Kulturgutes bewahrt werden? Die kleine Hexe sei ein „Synonym für eine innere Leitkultur, die nicht auf Veränderungen reagieren will“, schrieb kürzlich der Süddeutsche-Feuilletonchef Andrian Kreye. Politische Korrektheit beschreibt er als Kampfbegriff,
mit dem man nichts anderes als ein Gerechtigkeitsverständnis diskreditiere. Ich frage mich: Ist es die Angst, sich mit eigenen Vorurteilen beschäftigen zu müssen? Ist es die Furcht, als rassistisch zu gelten? Über das N-Wort zu reflektieren, beweist Mut und ist ehrlich, nicht rassistisch. Es geht nicht darum, dass sich irgendwelche Fremde am deutschen Kulturgut vergreifen wollen. In Deutschland sind seit vielen Hundert Jahren nicht alle Menschen weiß und damit auch nicht alle Leser. Es sind auch ihre Kinderbücher, die sie gelesen haben. Und: Zeitgemäße, sprachliche Anpassungen sind wichtig und alltäglich, weil Kinder abwertende Begriffe auf sich selbst und auf andere beziehen. Grimms Märchen etwa würde kaum jemand im Original vorlesen. Michael Ende nannte noch zu Lebzeiten in Jim Knopf das Land „China“ in „Mandala“ um, weil er sich mit dem System dort nicht identifizieren konnte. Charles Dickens strich in späteren Auflagen von „Oliver Twist“ antisemitische Untertöne. Von Zensur kann also nicht die Rede sein. Deshalb raus mit den kolonialen Altlasten! Deutschland ist eine Heimat, deren Diskurs sich verändern muss. Dann brauchen unsere Kinder vor dem Schlafengehen auch keine diskriminierenden Wörter erklärt bekommen.
publiziert auf der Webseite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes – hier.