SPD-Initiative zur Aufarbeitung des Kolonialismus greift zu kurz

Presseerklärung

SPD-Initiative zur Aufarbeitung des Kolonialismus greift zu kurz

In einem „Positionspapier“ fordert die SPD-Fraktion ein bundesweites „Aufarbeitungskonzept“ zur Kolonialgeschichte. Ihre Initiative ist jedoch nicht konsequent, verbindlich und umfassend genug

Am 25.06.2019 hat die SPD-Bundestagsfraktion das Positionspapier „Umgang mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten – Zeit für einen Perspektivwechsel“ veröffentlicht. Darin greift sie u.a. die langjährige Forderung der dekolonialen Bewegung nach einem „gesamtgesellschaftlichen postkolonialen Aufarbeitungskonzept“ auf. Das zivilgesellschaftliche Bündnis DECOLONIZE Berlin begrüßt die SPD-Initiative im Grundsatz, verweist aber auf drei wesentliche Leerstellen, welche ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen.

Erstens fehlt es im SPD-Papier an einer grundsätzlichen Anerkennung des auf Gewalt und Rassismus basierenden deutschen und europäischen Kolonialismus als Unrechtsherrschaft. Es reicht nicht aus, von (gelegentlichen) kolonialen Verbrechen zu reden. Kolonialherrschaft selbst muss entsprechend der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban 2001 als ein menschenverachtendes Unrechtssystem verurteilt werden.

Zweitens muss den kolonisierten Herkunftsgesellschaften ein Recht auf Rückgabe der Körperteile ihrer Ahnen sowie von Kultur- und Naturobjekten, deren fairer Erwerb nicht nachgewiesen werden kann, zugestanden werden. Eine regierungsseitige „Selbstverpflichtung“, „die den politischen Willen zur Rückführung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten deutlich zum Ausdruck bringt“, ist im Falle von Kolonialraub nicht genug. Hier muss die SPD auf ein verbindliches Rückgabegesetz nach dem Vorbild des US-amerikanischen Native American Graves Protection and Repatriations Act (NAGPRA) hinwirken.

Drittens erwähnt die SPD, die eine umfassende Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus fordert, das lange verdrängte, größte deutsche Kolonialverbrechen, den Völkermord an den Ovahereo und Nama 1904-08, mit keinem einzigen Wort. Dieses Schweigen muss umso mehr erstaunen, als doch das von der SPD geführte Auswärtige Amt mit der außenpolitischen Aufarbeitung des Völkermords betraut ist.

Liegt der Grund für diese Auslassung im längst offensichtlichen Scheitern der deutschen Diplomatie, der es bislang nicht gelungen ist, sich zum Völkermord in einer Art und Weise zu verhalten, die zur Versöhnung zwischen den Nachfahren der Opfer und der Täter beitragen würde? Fürchtet die Fraktion, dass deutlich werden würde, wie das Auswärtige Amt seit Jahren eklatant gegen SPD-Positionen verstößt?

So hat die SPD bereits 2012, noch aus der Opposition heraus, die Forderung nach einer offiziellen Anerkennung des Völkermords und nach einer deutschen Bitte um Entschuldigung gegenüber den Nachfahren der Opfer gestellt. Dennoch sind diese Grundvoraussetzungen jeglicher Versöhnung mit den Ovaherero und Nama auch nach sechs Jahren SPD-Führung des Auswärtigen Amtes noch immer nicht geschaffen – und dass obwohl die Partei mit dem Bundespräsidenten und dem Außenminister gleich zwei Amtsträger stellt, die für diese Aufgabe geeignet wären.

Im Widerspruch zur aktuellen SPD-Forderung nach stärkerer Einbindung von zivilgesellschaftlichen Opfergruppen in den postkolonialen Aufarbeitungsprozess hat sich das Auswärtige Amt stattdessen auf exklusive Verhandlungen mit der vom Genozid an den Ovaherero und Nama nicht direkt betroffenen namibischen Regierung versteift. Die regierungsunabhängigen Opferverbände sind bekanntlich von diesen Verhandlungen ausgeschlossen, sodass sie sich gezwungen sehen, ihr Recht auf Teilhabe vor einem New Yorker Gericht einzuklagen.

Schließlich entsandte das SPD-geführte Amt einen denkbar ungeeigneten Botschafter wie den nun scheidenden Christian Matthias Schlaga nach Namibia, der die im SPD-Positionspapier beklagten „asymetrischen Machtstrukturen“ keineswegs zu überwinden bereit war. So drohte dieser noch im Juni 2019 kaum verholen mit dem Ausbleiben von Entwicklungsgeldern, sollte sich Namibia kein Beispiel an Tansania nehmen, das die Kolonialgeschichte ruhen lassen und auf Wiedergutmachungsforderungen verzichten würde.

Wir begrüßen, dass sich die SPD mit konkreten Vorschlägen für ein bundesweites Aufarbeitungskonzept zum Kolonialismus ausgesprochen hat“, sagt der tansanische Aktivist Mnyaka Sururu Mboro, Vorstandsmitglied des Bündnisses DECOLONIZE Berlin, „aber ihr Positionspapier sollte noch überarbeitet und ergänzt werden. Die SPD muss die deutsche Kolonialherrschaft zur Unrechtsherrschaft erklären. Sie sollte unser Recht auf Rückgabe der angeeigneten Ahnen, Kultur- und Naturschätze gesetzlich sichern. Und sie muss vor allem auch mit den regierungsunabhängigen Ovaherero- und Namaverbänden respektvoll über die Aufarbeitung des kolonialen Genozids 1904-08 verhandeln.“

Mehr: 

SPD-Positionspapier vom 25.6.2019: https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/position-umgang-koloniale-vergangenheit-deutschlands-20190625.pdf

Allgemeine Zeitung (Namibia) vom 05.06.2019: https://www.az.com.na/nachrichten/verlangter-betrag-ist-stolperstein2019-06-05

The Observer vom 28.06.2019: https://www.observer.com.na/index.php/national/item/11280-german-rules-out-financial-reparations

Kontakt:

Berlin Postkolonial e.V., buero(at)berlin-postkolonial.de, 01799 100 976