Wetten dass…? in Augsburg im vergangenen Dezember. Da lag die Saalwette nah. Die Einwohner des bayrischen Städtchens sollten als Marionetten der Augsburger Puppenkiste verkleidet in der Veranstaltungshalle erscheinen. Ausgesucht wurden die Figuren Jim Knopf und Lokomotivführer Lukas: „Jim Knopf muss natürlich geschminkt sein, schwarze Farbe oder Schuhcreme, ganz egal!“, erklärt Moderator Markus Lanz und sorgt damit für Protest. Der Vorwurf des Blackfacing steht noch immer im Raum.
von Hadija Haruna
„Haben die in der Redaktion niemanden, der auch nur eine Spur Fingerspitzengefühl hat“, twitterte Nutzer @Joscht. Der bekannte Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb „Schwarze Augsburger kann sich das ZDF nicht vorstellen.“ Auch Anne Wizorek, die durch den Hashtag #aufschrei, unter dem Frauen über ihre alltäglichen Sexismus-Erfahrungen diskutierten, meldet sich kritisch zu Wort. Nutzer @Ein Augenschmaus twitterte: „Wir werden noch mehr über Rassismus reden müssen.“ Seit knapp einer Woche wollen er und andere mit ihren Beiträgen unter dem Hashtag #blackfacing auf die gleichnamige rassistische Praxis hinweisen, „die nur allzu oft verharmlost werde“.
Was ist Blackfacing? Gemeint ist eine rassistische Unterhaltungsmaskerade, die Ende des 19 Jahrhunderts in den so genannten „Minstrel Shows“ und Vaudeville-Theaterstücken in den USA entstand. Schwarzbemalte weiße Darsteller mit Schminke aus Ruß oder Schuhcreme auf der Haut, betonten ihre Lippen rot und dick, schmückten sich mit Wollperücken und verkörperten das Klischee des naiven, schwachsinnigen, aber immer lustigen Schwarzen. Die Maskerade verbreitete sich als Praxis über die Bühne und den Film weltweit. In den USA gilt sie bis heute als Symbol für das Trauma der Sklaverei, in Großbritannien und Frankreich als Ausdruck des Rassismus der Kolonialzeit. Eine Zeit, die auch in Deutschland ihre Spuren hinterlassen hat, als das Land vor über hundert Jahren „sein Afrika“ erfand, um den eigenen Kolonialismus zu legitimieren. Sprachlich und bildlich wurde dabei das Bild des homogenen, unterlegenen und zivilisierungsbedürftigen Wilden, dem dienenden „Mohren“ und des dumm, hässlich und blöden N* konstruiert. Ihre karikierende Darstellung findet sich beispielsweise in der Darstellung in DEFA Filmen und der frühneuzeitlichen Karnevalstradition wieder. Die historischen Hintergründe beschreibt die Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche. Für sie wird die Geschichte des Rassismus fortgesetzt, wenn man weiße Schauspieler schwarz schminkt – auch wenn sie den Charakter nicht ausdrücklich minderwertig abbilden. Die Darstellung weckt Assoziationen, die viele schwarze Menschen kränkt.
Das sehen die Gegner der Kritik anders. Viele von ihnen wollen nichts Schlimmes darin sehen, wenn sich Menschen die Gesichter schwarz anmalen. Ob es jetzt auch verboten sei sich an Karneval als Chinese oder Mexikaner zu kostümieren, fragt ein Autor des Sterns in seinem Artikel. Die Saalwette wird im Netz und in Medienartikeln kontrovers diskutiert. Erst das „Zigeunerschnitzel“, dann das St.-Martins-Fest – und jetzt darf man sich nicht mal mehr als Jim Knopf verkleiden“, empört sich ein Twitter-Nutzer. Auch das ZDF weist die Kritik zurück und will die Saalwette nicht mit der Kritik des ‚Blackfacing‘ in Verbindung bringen. Das Abstreiten des Rassismus-Vorwurfs folgt vielfach einem Muster: Was nicht rassistisch gemeint ist, kann auch nicht rassistisch sein. Doch können rassistische Handlungen auch unbewusst und ohne böse Intention oder Absicht geschehen, sagen die Kritiker.
Worin aber liegt 2013 das Problem, das es früher nicht gab? Es liegt darin, dass die Stimmen derjenigen lauter werden, die sich eine überkommene Sprache und Bilder nicht länger gefallen lassen wollen. Für sie zählen spielerische Klischees, dumme Witze und subtile Vorurteile seit Jahren zu ihrer alltagsrassistischen Lebenserfahrung. Doch leben sie in einer immer heterogener werdenden Gesellschaft, in der sie der Protest gegen das unsichtbar machen ihrer Anliegen eint. Nicht selten stoßen sie beim Benennen diskriminierender Praxen auf Abwehrreaktionen, weil der Rassismusvorwurf für viele als Totschlagargument gilt. So ist das Verständnis von Rassismus in Deutschland stark an den Nationalsozialismus geknüpft. Die Sorge beim Reproduzieren rassistischer Stereotype erwischt zu werden, sich als „Rassist“ abgestempelt zu fühlen, ist gesellschaftlich tief verwurzelt. Dass es ein gesellschaftliches Problem gibt, den Rassismus aus der Mitte zu erkennen, haben bereits viele Studien belegt. Auch das Thema Blackfacing wird dabei nicht zum ersten Mal diskutiert.
So sorgte 2009 der Journalist Günter Wallraff für Aufsehen, als er sich für seinen Dokumentarfilm „Schwarz auf Weiß“ der rassistischen Praxis bediente. Im Januar 2012 gab es Diskussionen um das Stück „Ich bin nicht Rappaport“ im Berliner Schlossparktheater, in dem ein schwarz geschminkter weißer Schauspieler die Rolle eines Afroamerikaners spielte. Kurz zuvor hatte der US-Dramatiker Bruce Norris die Aufführung seines mit dem Pulitzer-Preis gekrönten Stückes „Clybourne Park“ am Deutschen Theater in Berlin verboten, weil ihm die Besetzung geblackfaceter Schauspieler nicht passte. Aus den Protesten heraus gründete sich die Gruppe „Bühnenwatch“, die seitdem die Praxis in Deutschland dokumentiert und kritisiert. Zuletzt bediente sich 2013 Literaturkritiker Denis Scheck in der ARD-Sendung „Druckfrisch“ der Methode, als die Debatte um die Streichung diskriminierender Wörter in Kinderbüchern ihren Höhepunkt erreichte. Doch auch im europäischen Ausland ist Blackfacing ein Thema. So schlug im Oktober die niederländische Diskussion um den blackgefacten „Zwarten Piet“ Wellen, als ein Kommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen die Nikolaus-Tradition kritisierte.
Wann wird die Grenze zum Rassismus überschritten, wer hat den Spaß und wer wird angesprochen? So fragen mehrere Twitter-Nutzer: „Wie hätte man Jim Knopf auch sonst auf der Bühne erkennen sollen?“ Die Tatsache, dass in Augsburg lebende schwarze Menschen auch vom ZDF von vornherein nicht angesprochen wurden, die ohne Schuhcreme über Jim Knopfs Hautfarbe verfügen, sollte zum Denken anregen. So schien es dem Sender weniger darauf anzukommen, eine schwarze Person nachzuempfinden. Ansonsten wäre es auch nicht egal gewesen, ob sich das Publikum „egal was“ ins Gesicht schmiert. Schwarz gleich Schuhcreme: Diese Assoziation erinnert viele Schwarze Menschen an diskriminierende Sprüche. Das ZDF machte sie mit ihrem Aufruf unsichtbar: „Jedes Mal, wenn ein schwarzgeschminkter Weißer irgendwo auftritt, sagt das: Schwarze können das nicht. Schwarze kennen wir nicht. Schwarze gibt es in unserer Mitte nicht. Was Schwarze von dieser Rolle halten würden, wenn es sie in unserer Mitte gäbe, interessiert uns nicht“, zitiert der kritische Blog publikative.org den Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch. So kommt es, dass die Kritik der Blackface-Gegner nicht nur ein Hirngespinst, sondern ein komplexes Thema einer aktuellen Rassismus-Debatte darstellt, der sich auch der Mainstream in Deutschland mehr und mehr stellt und stellen muss. So hätte auch das ZDF gewarnt sein können, als es seine Zuschauer aufrief, sich schwarz angemalt auf den Weg zu machen.
Quelle: Eine gekürzte Version erschien als Erstausgabe unter dem Titel „Schwarz ist mehr als eine Farbe“ am 19.12.2013 in der Sächsischen Zeitung