Nichts davon ist neu und das ist das Problem

Stellungnahme der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zur AfD und einer gesellschaftlichen Normalisierung rassistischer und rechtsextremer Positionen.

Berlin, 17.1.2024

Die Aufregung über das durch das Medienhaus CORRECTIV bekannt gewordene, konspirative Treffen von AfD-Politiker*innen, Mitgliedern der sogenannten CDU-Werte-Union, Vordenker*innen der Identitären Bewegung und finanzstarken Unternehmer*innen ist groß. Dass dort die Abschiebung und Vertreibung von über zwei Millionen Menschen aus Deutschland als „Jahrhundertprojekt“ geplant wurde, schockiert. Für die Teilnehmenden könne dies nicht mehr allein durch neue Gesetze erreicht werden, da (bereits) zu viele der Unerwünschten Deutsche sind. Stattdessen soll das bereits geschaffene Klima der Angst und Ablehnung weiter geschürt werden, um sie zu vertreiben. 

Während nun Presse und Zivilgesellschaft nicht fassen können, wie es so weit kommen konnte, ist diese Entwicklung letztlich nicht überraschend. Der rechtsextreme AfD-Vordenker Björn Höcke hat bereits 2018 unmissverständlich erklärt, was aus rechtsextremer Sicht nötig wäre, um die Zukunft der „autochthonen [weißen] Deutschen” zu sichern. Er hat unmissverständlich klargestellt, dass ein “Aderlass” nötig sein würde, bei dem “wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, mitzumachen”. All das ist bereits seit fünf Jahren in Höckes Buch “Nie zweimal in denselben Fluss” nachzulesen. Und bereits 2014 hatte er mit ähnlicher Intention Friedrich Hegel mit der Aussage zitiert, dass brandige Glieder nicht mit Lavendelwasser kuriert, sondern nur „durch gewaltsame Verfahren reorganisiert werden” könnten.

Es ist bezeichnend, wie viele Menschen jetzt davon überrascht sind, wie gut rechte Kräfte vernetzt sind und wie sie sich selbstbewusst auf eine Machtübernahme vorbereiten. Dabei ist die Ideologie eines immer weiter erstarkenden Rechtsaußen-Flügels der AfD, sind die Ideen der Identitären Bewegung und der Werte-Union schon lange bekannt. Darum dürften die Inhalte des Treffens eigentlich nicht überraschen. Doch scheint es einfacher zu sein, sich in einer vielfach eingeübten Choreographie der Empörung darüber aufzuregen, anstatt den wirklich wichtigen Aspekten dieses Novembertreffens der AfD die nötige Aufmerksamkeit zu widmen: So präsentierten die anwesenden AfD-Vertreter*innen auf dem Treffen ihre Social Media Strategie für die kommenden Wahlen. Und wie erfolgreich die AfD damit ist (insbesondere mithilfe der effektiven algorithmischen Radikaliserung, die durch Social media Plattformen wie TikTok gezielt möglich wird), zeigen die Zahlen der Erstwähler*innen bei den vergangenen Landtagswahlen, in denen die Partei erstmals nach den Grünen den zweiten Platz belegte.

Aus AfD-Sicht ist diese Strategie nur ein Baustein auf dem Weg der geplanten Machtergreifung, die das “Jahrhundertprojekt”  ermöglichen soll. Und Thüringen spielt in diesem Plan eine besondere Rolle, denn dort hatte die NSDAP 1930 bereits vor der „Machtergreifung” regional die Macht erlangt – und auch damals gelang dies durch Wahlen. Welche Folgen Deutschland drohen, falls die AfD insbesondere in Thüringen die stärkste Kraft wird, haben unterschiedliche Verfassungsrechtler*innen, aber auch die vormalige SPD Landesgeschäftsführerin Anja Zachow  – deren Papier den bezeichnenden Titel „Was dann wieder keiner gewollt haben wird“ trägt – bereits vor Monaten ausführlich dargelegt: So reicht eine einfache Mehrheit aus, um den*die Parlamentspräsident*in zu stellen. Und in diesem Amt kann die AfD den Thüringen, aber auch der Demokratie Deutschlands insgesamt einen massiven Schaden zufügen. Eine Tatsache, die noch zu wenig bekannt ist.

Was dann möglich wird, zeigt beispielhaft das Erstarken der politischen Rechten als Bedrohung in anderen europäischen Ländern, wie unter anderem die vor Kurzem abgewählte PIS Partei, die in Polen rechtsstaatliche Strukturen ausgehebelt und das Land in Richtung eines autokratischen Staates geführt hat. So lässt sich am Beispiel der PIS-Regierung zeigen, wie Formalien verschleppt werden können, damit beispielsweise Gesetze einfach nicht bekannt gegeben werden und diese entsprechend nicht in Kraft treten können. Auch in Thüringen müssen alle Gesetze formal von der Landtagspräsidentschaft verkündet werden, um Gültigkeit zu erlangen. Dazu tritt eine Fülle weiterer Möglichkeiten: Die Landtagspräsidentin kann unter anderem Vertreter*innen der Neuen Rechten nach Thüringen einladen oder auch selbst als Vertreterin des thüringischen Parlamentes international reisen. So wird eine rechte Schattendiplomatie möglich.

Es sind beängstigende Zeiten und Zustände, in denen vor allem ein schleichender Weg der Normalisierung der AfD einen Teil der Bedrohung für marginalisierte Menschen ausmacht, weil sich ein öffentlicher Mainstream und der mediale Diskurs bereits an ihre Politiken gewöhnt haben. In Politik und Medien erleben wir eine bezeichnende Gleichzeitigkeit: Einerseits demonstrative Abgrenzung von der AfD, andererseits die immer weniger subtile, öffentliche Übernahme von menschenfeindlichen Positionen, gerade in der Migrationspolitik. So wird deutlich, dass AfD Pläne im Bereich Migration nicht unbedingt einen Gegenentwurf darstellen, sondern eine Politik radikal weiterdenken, die bereits geplant und betrieben wird: Im Oktober 2023 erst erschien Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Cover des Spiegel Magazins mit der Unterschrift „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“, er greift dabei einen Punkt auf, der bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung als „Rückführungsoffensive“ angekündigt wurde. Gerade am 18.01.24 wurde im Bundestag das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ beschlossen, das Abschiebungen vereinfachen und beschleunigen soll. Die CDU verkündet Pläne zur Abschiebung von Schutzsuchenden ohne Prüfung in Drittstaaten – ungeachtet der Tatsache, dass Menschenrechtsklagen dafür gesorgt haben, dass ein vergleichbares Gesetz in Großbritannien gescheitert ist. Doch wer ins Rennen um die radikalsten Positionen einsteigt, wird immer rechts überholt werden: Die AfD ist auf dem Höhepunkt ihrer öffentlich sichtbaren Radikaität – und gleichzeitig auch ihrer Populairtät in Wahlumfragen. Gleichzeitig wird ihr strategisches Vorgehen doch wenig durchschaut oder öffentlich diskutiert. So steht vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zunächst die Europawahl an, bei der aufgrund extrem geringer Wahlbeteiligung und fehlender Fünf-Prozent-Hürde rechte Parteien meist disproportional gut abschneiden. Auch wenn das Wahlergebnis demzufolge eine optische Täuschung sein könnte, so würde ein gutes Abschneiden auch hier wieder für mehr Rückenwind für die AfD sorgen. Ein weiterer Schritt, der zur Normalisierung der Partei beitragen würde.

Schwarze Menschen, People of Color, Sinti*zze und Rom*nja, Juden und Jüd*innen. geflüchtete Menschen, behinderte und queere Personen, Muslim*innen und als solche gelesene Personen  und alle anderen, die für die AfD nicht in ihr Gesellschafts- und Menschenbild passen, werden zunehmend zur Zielscheibe, während eine Normalisierung des Rassismus ihr Erleben unsichtbar macht. Sie sind diejenigen, die Gewalt bereits erfahren und als Erste von den Plänen der Rechten akut bedroht sind. Das muss für die gesamte Zivilgesellschaft bedeuten, Lehren daraus zu ziehen, wie es so weit kommen konnte: Bisherige Strategien, insbesondere Appelle an Institutionen und Medien mit der Erwartung, dass ein verantwortlicher Umgang von Parteien und Verbänden, ein kritischer öffentlicher Diskurs – also jemand anders –  es schon richten werden, sind gescheitert. Wir können es uns nicht mehr leisten, nur von denjenigen ein Eindämmen der AfD zu fordern, die dies in den letzten Jahren schon nicht geschafft und teils auch gar nicht versucht haben. 

Was ist also zu tun?  Was es braucht, ist eine Haltung, die zu bewusstem Handeln führt. Wen also die rassistischen Vertreibungsphantasien der AfD tatsächlich  empören, der oder diejenige sollte es sich nun zur persönlichen Aufgabe machen, im eigenen Familien- und Bekanntenkreis konkret die Wahlbeteiligung zur Europawahl drastisch zu erhöhen. Denn die Rechnung ist einfach: jede nicht abgegebene Stimme verleiht der AfD mehr Gewicht. Und weil die Wahl in Thüringen eine solche bundespolitische Bedeutung hat, müssen die Bundesparteien, insbesondere die Parteien von CDU und die Linke, den Druck dieser Verantwortung in und außerhalb von Thüringen zu spüren bekommen. Wer also diesen Parteien angehört, sollte sich jederzeit dazu erklären können und müssen, wie genau die eigene Partei dieser Verantwortung nachkommt.

So sind die Grenzen des Sagbaren in Deutschland schon lange viel zu weit nach rechts verschoben worden. Rassismus und ultrarechte Positionen sollten nicht weiterhin wie jede andere Meinung geäußert und diskutiert werden. Auch ein mediales Reproduzieren und Skandalisieren nutzen wenig, um diese Normalisierung zu durchbrechen. Es braucht viel mehr Kontext, ein Wissen über die Strategien und vor allem auch eine geschichtliche Einordnung, weil die Entwicklungen, die wir beobachten, bewusst die Strategien der NS-Machtergreifung reinszenieren. 

So ist es unser aller alltägliche Aufgabe: Im Alltag, in Leser*innenbriefen, in E-Mails an Abgeordnete darauf hinzuweisen, wenn der Diskurs sich verschiebt, sie dazu aufzufordern, sich nicht nur mit symbolischen Statements, sondern mit konkreten politischen und Gesetzesinitiativen zu positionieren. Es bedeutet auch, eine Aufmerksamkeit für Sprache zu entwickeln und statt symbolischer Kulturkämpfe, die rechte Positionen auch durch ewige Wiederholung normalisieren, zu unterbrechen und konkrete Politik auf dem Boden der Menschenrechte einzufordern. Nur so kann der Verschiebung nach rechts, die ein über Jahre andauernder Prozess war, bewusst begegnet werden. Es gilt, durch strategisches Handeln den Kurs auf  eine Rückbesinnung auf die demokratischen Grundwerte einzuschlagen, den wir in dieser Zeit dringend brauchen. Anstelle einer performativ eingeübten, einmaligen und kurzen symbolischen Aufregung muss aus dem aktuellen sich Empören und auf die Straße gehen ein beständiges Gegenhalten werden – und zwar auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Demokratie kann nur wehrhaft sein, wenn ein solches Handeln im eigenen Alltag eingeübt und eingefordert wird.

Für marginalisierte Menschen bedeutet das, ihnen in allen Räumen eine Stimme und Sichtbarkeit zu geben und ihren Anliegen, aber auch ihrem Wissen durch einen lange gelebten Widerstand ums Überleben mit Offenheit zu begegnen: Denn eine weitere wichtige Tatsache ist, dass viele Menschen, die in Deutschland seit Jahrzehnten leben und Teil dieses Landes sind, selbst nicht wählen dürfen. Sie können also die Politik nicht mitbestimmen. Wer also berechtigt ist / das Privileg hat / zu wählen, aber selbst damit hadert, ein Kreuz zu setzen, kann dennoch wählen und zwar in Solidarität mit jenen, die in diesem Prozess rechtlich ohne Stimme sind. Deren Interesse in der Wahlkabine zu vertreten ist eine mögliche Form gelebter Solidarität. Und das tun wir gleichzeitig im eigenen Interesse kund, wenn wir eine AfD-Machtübernahme nicht gutheißen.

Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, sollte wachsam sein. Und eine Wahrnehmung dafür entwickeln, wie auf X und TikTok mit zunehmend rassistischen und anderen diskriminierenden Inhalten ein junges Millionenpublikum erreicht wird. Die Moderation von Inhalten oder gar deren verantwortliche Regulierung bleibt aktuell weit hinter dem zurück, was in jedem anderen Medium als Grenze des Vertretbaren einzuhalten wäre. Hier muss Druck auf Landes- und Bundespolitik ausgeübt werden, damit dieses Problem direkt mit dem Zuwachs rechtsextremer und rassistischer Machtpolitik verknüpft wird. Die AfD sollte dabei als Beispiel hervorgehoben werden. Alle demokratischen Politiker*innen, die auf Social Media unterwegs sind, sollten dazu angehalten werden, sich jenseits von Phrasen genau dort wiederholt zu positionieren: Wie genau stehen sie dazu, dass die sozialen Medien auch antidemokratischen Inhalten zu großer Reichweite verhelfen? Und wie verhalten sie sich dazu?

Es bedeutet auch, Werbung außerhalb der virtuellen Welt nicht unkommentiert stehen zu lassen: Neben jedes AfD-Plakat gehört ein kritischer Sticker-Kommentar: So kann die Normalisierung von AfD-Werbung im öffentlichen Raum sichtbar konfrontiert werden. Es ist ein Beispiel dafür, wie öffentlicher Protest im Widerspruch des Propagierten “nie wieder” gerade jetzt eine wichtige Möglichkeit ist, um diese neue Alltäglichkeit rechten Gedankengutes zu unterbrechen. 

2024 ist ein Superwahljahr – nur wenn die aktuelle Empörung in das beschriebene, bewusste und strategische Handeln – auch und gerade bei Wahlen – übersetzt wird, können wir dafür sorgen, dass rassistische Politik nicht weiter normalisiert wird. Die Erfahrung Schwarzer Menschen in Deutschland zeigt wiederholt, wie aus Gewöhnung Verfolgung, wie aus rassistischem Alltag tödliche Gewalt wird. Die Zeit der symbolischen Appelle ist vorbei – packen wir’s gemeinsam an, strategisch fordernd, solidarisch verbunden.