Gesammelte Korrespondenz zur Diskussion über die auf dem Schokoladen-Markt angebotene „Tübinger M-köpfle“.
1. Der erste offene Brief an den Oberbürgermeister Boris Palmer aus Tübingen.
Sehr geehrter Herr Palmer,
seit über 300 Jahren leben Schwarze Menschen in Deutschland. Bis heute werden sie mit rassistischen Begriffen beleidigt, gedemütigt und ausgegrenzt. Vielleicht ist Ihnen das historische Setting des Begriffes „Mohr“ nicht klar. Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert wurden Schwarze Menschen – überwiegend als Sklaven des deutschen Adels und Bürgertums in Deutschland lebend – so bezeichnet.
Sie galten als Statussymbol und Unterlegene ihrer weißen Herren. Zudem stellt das M-Wort den Vorreiter des Begriffs „Neger“ dar. Mit diesen Begriffen sind eine Vielzahl von rassistischen und eurozentristischen Stereotypen verbunden. Sie wurden auch als Grundlage genommen, Schwarze Menschen als „minderwertige Rasse“ im zweiten Weltkrieg zu verfolgen und zu ermorden.
Dass das M-Wort für Schwarze Menschen in Deutschland niemals ohne diffamierenden Beigeschmack bleibt, ist Ihnen hiermit hoffentlich verständlich geworden. Von Seiten Schwarzer Menschen in Deutschland gab es niemals eine Legitimation, es für „salonfähig“ zu erklären. Dabei ist es auch nicht von Bedeutung, ob die genannte Bezeichnung willentlich beleidigend und rassistisch verwendet wurden oder nicht. Auch geht es nicht um eine formelhafte politische Korrektheit, die wir uns wünschen. Es geht um Respekt und Verantwortung.
Mit großer Verwunderung haben wir daher die Vorgängen der letzten Tage in Tübingen verfolgt. Und fragen uns, wie es sein kann, dass sich von Ihrer Seite trotz der vielen öffentlichen Bekundungen und Erklärungen und dem gezeigten Verständnis von Konditor Johannes Becker keinerlei Empathie erkennen lässt. Auch sind wir erstaunt, dass Sie versuchen in Ihren Antwortschreiben an kritische Bürger_innen, die uns vorliegen, die Verwendung des Begriffs abzutun. Diese Reaktion als ein Politiker Ihres Amtes ist in unseren Augen mehr als unangebracht.
Die öffentliche Reaktion sowohl Schwarzer als auch weißer Menschen hätte Ihnen ein Anlass sein können, über Ihre Haltung nachzudenken. Vielleicht nehmen Sie unseren Brief als Anstoss.
„Wir wollen ein gesellschaftliches Klima der Anerkennung, Toleranz und Fairness, das dem Rechtsextremismus den Boden entzieht….Rassismus geht uns alle an!“, lauten die Leitlininen Ihrer Partei, die man online einsehen kann. Als Oberbürgermeister haben Sie in unserern Augen eine besondere Verantwortung und Ihre Aussagen stehen stellvertretend auch für Ihre Stadt Tübingen und Ihre Partei. Daher würden wir uns darüber freuen, wenn Sie Ihre Meinung noch einmal überdenken würden und sich dazu noch einmal in einem öffentlich Antwortschreiben an uns äußern.
Mit freundlichen Grüssen,
Der Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).
2. Die Antwort des Bürgermeisters Boris Palmer
Sehr geehrte Damen und Herren im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland,
für Ihren offenen Brief vom 11.12.2012 bedanke ich mich. Sie haben richtig erkannt, dass ich mich mit Bedacht nicht zu der Benennung einer Konditorkreation geäußert habe. Ich bin der Auffassung, dass eine Debatte über Mohrenköpfe niemandem nützt, am wenigsten den Menschen, die Sie vertreten. Deshalb habe ich mich zurückgehalten. Da Sie mich nun aber um eine Stellungnahme bitten, lege ich Ihnen selbstverständlich gerne auch meine Gründe dafür offen.
Ich halte die Kritik an dem Namen „Tübinger Mohrenköpfle“ grundsätzlich für berechtigt. Allerdings erscheint mir die Schärfe, mit der auch Sie die Kritik an der unglücklichen Begriffswahl vortragen, für kontraproduktiv. Sie führt nämlich nicht zu einer Solidarisierung mit Ihrem Anliegen, sondern zu Unverständnis, Gegenwehr und Streit.
Sie können das selbst in Leserbriefspalten und Online-Foren überprüfen. Dort haben wir nun eine sehr aufgeheizte Debatte, die von gegenseitigen Vorwürfen geprägt ist. Die einen stellen den Vorwurf des zumindest latenten Rassismus in den Raum, die anderen fühlen sich dadurch zu Unrecht angegriffen und keilen zurück. Manche reagieren mit Spott über Gutmenschen in Tübingen, die nichts Besseres zu tun haben, als solche Bagatellen hochzuziehen. Rassismus bekämpft man so nicht. Im Gegenteil, die echten Rassisten können sich im Windschatten derartiger Debatten unbehelligt betätigen. Und wenn selbst in Tübingen die meisten Menschen den Kopf über diese Diskussion schütteln, ist damit für Ihr Anliegen auch andernorts nichts zu gewinnen.
Ich finde, Gelassenheit und Betonung der subjektiven Empfindungen würde hier weiter helfen. Wer als Betroffener sagt, ich fühle mich durch die Bezeichnung Mohrenkopf oder Negerkuss verletzt und bitte, das zu respektieren, wird überall verstanden und positive Reaktionen ernten. Wer umgekehrt sagt, ich bitte zu respektieren, dass die Bezeichnung Mohrenkopf für mich nichts mit Rassismus zu tun hat, darf ebenso erwarten, dass auch das akzeptiert wird. Ein solches Gegenseitiges Verständnis würde die Bekämpfung von Rassismus, den es wirklich gibt, erleichtern.
Wie Sie sicher wissen hat der Konditormeister längst zugesagt, seinem süßen Produkt einen neuen Namen zu geben und dafür einen Ideenwettbewerb ausgelobt. Damit bezeugt er den Respekt, den Sie erwarten können.
Mit freundlichen Grüßen
Boris Palmer,
Oberbürgermeister
Universitätsstadt Tübingen
Stadtverwaltung im Blauen Turm
Friedrichstraße 21, 72072 Tübingen
Tel. (0 70 71) 204 – 1200; Fax (0 70 71) 204 -1000
Palmer Boris <ob@tuebingen.de>
2. Der zweite offene Brief der ISD an Boris Palmer
haben Sie vielen Dank für Ihre Rückmeldung.
So kritisieren Sie in Ihrem Brief eine Schärfe unserseits, die wir diesem nicht entnehmen können. Welche Passage in unserem Brief hat Ihnen diesen Eindruck vermittelt. In unseren Augen stellt unsere geschichtliche Argumentation eine Tatsachenbeschreibung dar, die dazu auffordert, sich mit dem Thema auseinandersetzen.
Sie schreiben: „Wer als Betroffener sagt, ich fühle mich durch die Bezeichnung Mohrenkopf oder Negerkuss verletzt und bitte, das zu respektieren, wird überall verstanden und positive Reaktionen ernten.“ Diese Behauptung haben Sie bereits in den ersten Antwortschreiben ihrer Kritischen Mitbürger_innen nicht erfüllt. Das ist auch der Grund, warum Sie immer noch entrüstete Briefe erhalten und auch ein weiteres Schreiben von uns.
In Ihrer vorangegangen Mail beziehen Sie sich auf die Kommentare in Online-Foren, um die „kontraproduktive Debatte“ zu kritisieren. Was Sie jedoch zeigt, ist ein gesellschaftliches Verhaltensmuster, mit dem sich Schwarze Menschen regelmäßig auseinandersetzen müssen, wenn Sie auf subtilen Rassismus oder rassistische Begriffsbezeichnungen aufmerksam machen. Vorwürfe wie „Gutmenschentum, Übertreibung oder Argumente, dass etwas nicht rassistische gemeint sei“, sind ein Erfahrungsmuster, von dem Ihnen viele Schwarze Menschen berichten würden. Nun hat das Tagblatt noch eine Umfrage geschaltet, ob die Leser die Bezeichnung rassistisch finden. Mit den Antworten: Ja. Weil sich Menschen dadurch diskriminiert fühlen, verbietet sich die Benutzung des Begriffs aus Respekt. Nein. So heißt der Schokokuss halt hierzulande schon lange. Dieser Umgang mit dem Thema macht deutlich wie lapalienhaft mit der Geschichte dieses Begriffes umgegangen wird. Aber dieser Aspekt ist der eine.
„Von vorschnellen Rassismusvorwürfen und Forderungen nach einer formalen öffentlichkeits- wirksamen Abkehr vom „Mohrenkopf“ hält der Tübinger Oberbürgermeister nichts: „Rassismus bekämpft man so nicht.“. Und Sie empfehlen wie eine rassistisch beleidigte Gruppe, Erfahrung wie diese handhaben sollte: „Mit Gelassenheit und der Betonung der subjektiven Empfindungen.“
Gelassenheit würde dann einsetzen, wenn Ihre Reaktion als Oberbürgermeister mit weniger Abwehr, sondern wirklichem Verständnis für die Thematik verbunden wäre. Und damit ein öffentliches Zeichen würde. Ihre Worte von Verständnis erscheinen deshalb nicht glaubhaft, da Sie stark für die Gruppe derer argumentieren, die den Begriff als nicht rassistisch empfinden und deshalb angeblich entscheiden dürfen, dass „nicht rassistisch ist, was nicht so gemeint ist“.
Was Sie vielleicht nicht ernst genug nehmen ist, dass wir alle in eine (post)koloniale Geschichte verwoben sind. Es gibt Bilder Schwarzer Menschen, die sicher auch Sie direkt abrufen können. Und der Kolonialismus gilt wie die Judenverfolgung oder die Antiapartheid als einer Ideologie unterliegende Rassismus-Form. Zwar tragen sie unterschiedliche Definitionsmuster, doch geht ihre Geschichte jeweils mit sprachlichen Erbstücken einher. Was der Kolonialgeschichte in Deutschland fehlt, ist jedoch die öffentliche Anerkennung und wird schlichtweg nicht ernst genommen. Die damit einhergehende Geschichte von Diffamierung, Gewalt bis hin zu Mord manifestiert sich in unserer Sprache und rüttelt deshalb verletzende Erinnerung bei Schwarzen Menschen wach, die nicht einfach weggeredet werden können.
Sicherlich wird es Rassismus auch geben, wenn es bestimmte Begriffe nicht mehr gibt. Doch eine Haltung anzunehmen, dass sich Schwarze Menschen die Diskriminierung via „Gelassenheit“ über sich ergehen lassen sollten, ist in unseren Augen ein doch sehr merkwürdiger Ratschlag Ihrerseits. Er zeigt wenig echtes Verständnis für unsere Perspektive und wirkt eher anmaßend. Wirkliche Anerkennung wäre es, erst einmal zuzuhören und offen zu sein und ein Thema nicht einfach abzutun – auch wenn es Sie nicht betrifft.
In einem Punkt stimmen wir Ihnen jedoch zu: Der Konditor hat Verständnis gezeigt.
Mit freundlichen Grüßen Der ISD Vorstand