Stellungnahme zum Diskussionsentwurf des BMJV zur Ersetzung des Begriffs „Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG

Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland befürwortet die Streichung des Begriffs „Rasse” aus dem Grundgesetz, den Landesverfassungen und allen Gesetzestexten und seine Ersetzung durch eine Formulierung, die denselben Schutzgehalt gewährleistet. Stattdessen sollten die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote und ihre einfachrechtlichen Konkretisierungen in Zukunft die Formulierung “rassitisch” oder “rassistische Diskriminierung” verwenden. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG würde dann lauten: “Niemand darf rassistisch oder wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Diese Veränderung ist aus historischen und menschenrechtlichen Gründen dringend geboten. Sie stärkt das Diskriminierungsverbot und gibt einen Impuls für eine aktivere, menschenrechtsorientierte und historisch informierte Rassismusbekämpfung. Zudem ist eine solche Grundgesetzänderung geeignet, die notwendige Debatte über das gesellschaftliche Rassismus Verständnis und den tatsächlichen Schutz vor Rassismus in Deutschland befördern. Der Begriff „Rasse“, stellt ein Konstrukt dar das zur Zeit der Aufklärung in die deutsche Sprache und Wissenschaft eingeführt wurde und eine zentrale Rolle in der Legitimierung, Verbreitung und Normalisierung rassistischen Gedankenguts spielt. Jede Anwendung des Begriffes „Rasse” auf Menschen ist deshalb unweigerlich als rassistisch zurückzuweisen. Bis heute suggeriert der Begriff Wissenschaftlichkeit, Neutralität und Objektivität und gibt scheinbar eine Realität wieder. Rassismus ist der Grund für die Herausbildung des Konzeptes menschlicher „Rassen” – nicht umgekehrt. „Rasse” ist eine soziale Konstruktion, eine Fiktion, die jedoch reale – rassistische – Diskriminierung bewirkt. Dies sollte das Grundgesetz in aller Deutlichkeit benennen.

Wenngleich das Grundgesetz unter dem Eindruck der NS-Herrschaft und des Holocaust den freiheitlichen, gleichheitsrechtlichen und demokratischen Charakter des neuen Staates durch ein Diskriminierungsverbot zu stärken suchte, findet sich in Artikel 3 seither ein Begriff, den rassistische Ideologien erst hervorgebracht haben. Die Erfahrung Schwarzer Menschen ist auch in Deutschland gezeichnet von den Auswirkungen rassistischer Konzepte und der damit verbundenen Anwendung des Begriffes „Rasse” auf Menschen. Sie bietet Einblicke in eine über drei-hundertjährigen Geschichte von auch rechtlich institutionalisiertem Rassismus, aber auch von Widerstand und Selbstbehauptung im Kontext von Versklavung, kolonialer Ausbeutung und Verfolgung in der NS-Zeit.

Neben Sinti und Roma waren Schwarze Menschen auch im Nachkriegsdeutschland weiter das Ziel von rassistischen Politiken und rassistischem Verwaltungshandeln. Das verdeutlichen zum Beispiel die Debatten des Parlamentarischen Rates 1948/49 aber auch die Bundestagsdebatte zu den sogenannten „brown babies“ im Jahr 1952. Auch in deutschen Schulbüchern, Enzyklopädien und juristischen Veröffentlichung wurde “Rasse” bis in die 2000er Jahre in biologistischer Weise verstanden und verwendet.

Rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, in der Bildung und der Behandlung durch öffentliche Stellen, insbesondere durch die Sicherheitsorgane zählt bis heute zum Alltag Schwarzer Menschen in Deutschland. Der Begriff “rassistisch” bildet diese Diskriminierungsrealität Schwarzer – und anderer von Rassismus betroffener Menschen in Deutschland – in präziser Weise ab. Die ersatzlose Streichung des Begriffs Rasse oder seine Ersetzung durch “ethnische Herkunft” lehnen wir dagegen ab.

Wenngleich die Neuformulierung sich sprachlich deutlicher von den restlichen im Diskriminierungsverbot genannten Merkmalen abhebt, als dies bei der alternativen Formulierung “aus rassistischen Gründen” der Fall wäre, ist sie doch genauer und besser geeignet, die intendierte Schutzwirkung zu entfalten.

Die vom BMJV vorgeschlagene Formulierung “aus rassistischen Gründen” ist nicht in gleichem Maße geeignet, umfassenden Schutz vor Diskriminierung zu gewährleisten. Die Formulierung könnte so ausgelegt werden, dass eine rassistische Intention bzw. eine Motivation im Sinne eines bewußten rassistischen Handelns vorliegen muss, um einen Verstoß gegen das diskriminierungsverbot zu begründen. Rassistische Diskriminierung gegenüber Schwarzen Menschen kann aber auch unbewußt erfolgen, zum Beispiel, wenn Polizeibeamte im Rahmen von Kontrollen fälschlicherweise davon ausgehen, der Phänotyp eines Menschen sage etwas über dessen Staatsangehörigkeit aus und Schwarze Menschen deshalb in überproportionalem Maße in Zügen kontrollieren (siehe die Entscheidungen des OVG Koblenz v. 21.04.2016 – 7 A 11108/14 und des OVG Münster v. 07.08.2018 – 5 A 294/16).

Gerade die in Deutschland noch zu wenig erforschten und anerkannten Phänomene des institutionellen Rassismus sind von einem Rassismus Verständnis, das auf Intention setzt, nicht erfasst. Eine verengte Interpretation von rassistischer Diskriminierung im Sinne bewußter Handlungen bliebe weit hinter den von Deutschland eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz vor Rassismus zurück: Artikel 1 UNAntirassismuskonvention (ICERD, International Convention on the Elimination of Racial Discrimination) wird rassistische Diskriminierung wie folgt definiert:

“In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck „Rassendiskriminierung“ [in der englischsprachigen Fassung “racial discrimination”] jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.”

Hierbei ist die Formulierung „zum Ziel oder zur Folge hat“ von besonderer Wichtigkeit. Rassismus bemisst sich demnach nicht an der Intention der Diskriminierenden, sondern an den Folgen für die Diskriminierten. Der menschenrechtliche Diskriminierungsschutz erfasst daher sowohl bewusste als auch unbewusste bzw. nicht intentionale diskriminierende Handlungen und sowohl ausdrückliche als auch mittelbar diskriminierende Regelungen oder Verfahren.

Eine geeignetere Übersetzung des Begriffes „racial discrimination”, wie er im originalen Wortlaut der UN-Konvention verwendet und definiert wird, wäre daher „rassistische Diskriminierung”.

Vor diesem Hintergrund wird die hier vorgeschlagene Änderung in “rassistisch” auch einem weiten menschenrechtlichen Verständnis des Diskriminierungsverbots gerecht.