Wahlprüfsteine der ISD zur Bundestagswahl 2021
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. (ISD), die zusammen mit ADEFRA e.V., zu den ältesten Selbstorganisationen der Bundesrepublik zählt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland zu vertreten, die Geschichte Schwarzer Präsenz sichtbar zu machen, Schutz- sowie Reflexionsräume mit aktiver Selbstermächtigung zu schaffen und kontinuierliche Lern- und Verlernprozesse mittels rassismus- und machtkritischer sowie diskriminierungssensibler Bildung zu fördern. Dadurch können Wahrnehmungsprozesse der eigenen Person und Rollen in der Gesellschaft positiv verändert werden. Für Gerechtigkeit in einer Migrationsgesellschaft einzustehen, neokoloniale Strukturen aufzudecken sowie Diskriminierung und Benachteiligung von Schwarzen Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu bekämpfen, sind zentrale Funktionen der ISD.
Durch emanzipatorische Konzepte, Entwicklung konkreter Handlungsstrategien und dekoloniale Wissensbildung sorgt die ISD nicht nur für Veränderungsprozesse in der Gesamtgesellschaft, sondern schafft Heilungsorte für Schwarze Menschen zur positiven Identitätsbildung und Aufarbeitung generationenübergreifender Traumatisierung.
Schwarze Menschen zählen zu den jüngsten demographischen Gruppen in Deutschland und blicken gleichzeitig auf eine jahrhundertelange Geschichte in diesem Land zurück, die von Widerstandskämpfen und Selbstbehauptung sowie kolonialer Ausbeutung geprägt ist. Bis heute ist Rassismus fester Bestandteil der Lebensrealität Schwarzer Menschen in Deutschland und wirkt zusammen mit weiteren Diskriminierungsformen in allen gesellschaftlichen Bereichen fort.
Um den Parteien die Möglichkeit zu geben, Politik zu machen, in der Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Leben zählen, hat die ISD anlässlich der Bundestagswahl 2021 in Zusammenarbeit mit dem Africa Policy Research Institute folgende Wahlprüfsteine erstellt. Diese zeigen nicht nur die Notwendigkeit von dekolonialer Erinnerungskultur und kollektiver Verantwortungsübernahme für koloniale Kontinuität sowie der Dekonstruktion gesellschaftlicher Macht- und Ungleichheitsverhältnisse auf, sondern verdeutlichen, wie elementar Schwarze Perspektiven zur Bewältigung drängender Herausforderungen in der deutschen Gesellschaft sind.
Nicht alle unsere Fragen wurden beantwortet. Auf dieser Seite findet ihr alle Fragen!
Sicherheitspolitik
Racial Profiling, rassistische Polizeigewalt, Gewaltandrohung bis hin zu Mord in Polizeigewahrsam sind tägliche Lebensrealitäten von Schwarzen Menschen. Seit 1990 wurden mindestens 183 BIPoC in Deutschland von Polizeibeamt*innen getötet bzw. kamen in Haft oder in Polizeigewahrsam ums Leben. Dass die Dunkelziffer viel höher ist, ist unumstritten. Der Fall vom Sondereinsatzkommando der Polizei Hessen zeigt einmal mehr, dass Polizeibeamt*innen in rechten und rassistischen Chatgruppen datenschutzrechtlich geschützte personenbezogene Daten teilen. Doch der Machtmissbrauch sowie die unverhältnismäßige Gewaltanwendung der Polizei bleibt meist ohne strafrechtliche Konsequenz. Studien belegen, dass nur 1% der rechtswidrigen Übergriffe von Polizeibeamt*innen verurteilt werden. Die unverhältnismäßige Polizeigewalt, die Schwarze Menschen im hohen Maße erleben, geht nicht nur mit der Missachtung von Menschenrechten einher, sondern zeigt das gewaltsame Aufrechterhalten eines Systems durch die Polizei auf, das auf jahrhundertelanger Unterdrückung und Ausbeutung von Schwarzen Menschen aufgebaut ist und fortwirkt. Die Ausdehnung von Macht und Kontrolle als zentrale Funktion der Polizei wird unter anderem durch polizeiliche DNA-Datenbanken sowie der Prognosesoftware PRECOPS deutlich. Denn bei der Verwendung von algorithmenbasierten Prognoseverfahren, die zugrundeliegende, von Menschen gemachte und eingespeiste Machtstrukturen widerspiegeln, werden Diskriminierungsformen reproduziert und Schwarze Menschen überproportional kategorisiert, kriminalisiert und überwacht.
Die Sicherheitsbehörden sind für die meisten Schwarzen Menschen daher keine Institutionen der Sicherheit und des Schutzes, sondern vielmehr im kapitalistischen System dienende Institutionen staatlicher Repressionen.
Welche bundespolitischen Maßnahmen werden Sie ergreifen, um den Amtsmissbrauch sowie die unverhältnismäßige Gewaltanwendung der Polizei gegen Schwarze Menschen zu stoppen und die strafrechtliche Ahndung zu verstärken?
Die Linke: DIE LINKE steht an der Seite von allen, die sich gegen Polizeigewalt und Rassismus einsetzen und für den Ausbau von Grundrechten und Demokratie eintreten. Schließlich wollen wir die Einrichtung von unabhängigen Beschwerde- und Ermittlungsstellen gegen Polizeigewalt und Diskriminierung durch Polizeibeamt*innen. Wirksame Kontrolle kann nur durch eine unabhängige Instanz erfolgen. Sie erfordert einen kritischen Blick, institutionelle Unabhängigkeit von Polizei und Innenverwaltung sowie eine hinreichende Ausstattung mit Befugnissen und Ressourcen.
Bündnis 90/Die Grünen: Wir GRÜNE fordern Sicherheit für alle Menschen in Deutschland und streiten für eine bürgernahe und transparente Polizei. Um Missbrauch, verfassungsfeindlichen Tendenzen und Diskriminierung nachhaltig entgegenzuwirken, braucht es aus unserer Sicht ein Bündel an Maßnahmen: endlich eine Kennzeichnungspflicht für Beamt*innen der Bundespolizei, die Unterbindung von Racial Profiling durch Streichung des § 22 Abs. 1a BPolG, die Einführung einer unabhängigen Stelle einer/eines unabhängigen Bundespolizeibeauftragten mit umfassenden Kompetenzen, endlich umfassende unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen über Rassismus, verfassungsfeindliche Einstellungen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Polizei sowie die statistische Erfassung verfassungsfeindlicher Verstöße bei der Polizei in Bund und Ländern.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Die einschlägigen Vorschriften im Strafrecht und im Dienstrecht des Bundes sind ausreichend, um ein solches rechtswidriges Verhalten von Bundespolizistinnen und Bundespolizisten zu ahnden.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): Für CDU und CSU steht außer Frage, dass Rassismus ebenso wie Amtsmissbrauch überall konsequent verfolgt werden muss. Rassismus und Rechtsextremismus darf bei der Polizei nicht geduldet werden. Jeder Verdacht muss konsequent aufgeklärt und geahndet werden. Die Polizei ist an Artikel 3 des Grundgesetzes gebunden und hat eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und Vorbildfunktion. Pauschalverurteilungen von Polizistinnen und Polizisten lehnen wir ab. Es existieren höchste Standards bei der Qualität der Ausbildung, zu der auch Anti-Rassismus und Anti-Extremismus gehören. Wir stehen fest an der Seite derjenigen, die täglich alle Anstrengungen unternehmen, um Sicherheit in Freiheit zu verteidigen. Polizisten genießen zu Recht ein besonders großes Vertrauen. Sie verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung. Es gibt bereits Ombudsleute bei den Landespolizeien, den Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie z. B. auch die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes. Wir begrüßen die vom Bundesinnenministerium beauftragte Studie zum Polizeialltag. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass die Fehlerkultur in der Polizei noch besser wird. Bei schwerwiegenden Verfehlungen müssen Kollegen wachsam sein und handeln. Es muss rasch aufgeklärt werden, disziplinarrechtliche Maßnahmen müssen ausgeschöpft und auch strafrechtliche Konsequenzen müssen geprüft und ggfs. ergriffen werden.
Freie Demokratische Partei (FDP): Die Fragen werden im Zusammenhang beantwortet: Wir Freie Demokraten setzen uns für die Schaffung eines Beirats „Innere Führung“ bei der Polizei ein, der Kriterien für Fehlerkultur und Selbstreflexion in der Polizeiarbeit erarbeiten soll. Das Fehlverhalten einzelner Beamtinnen und Beamter einschließlich der Bedingungen, die zu dem Fehlverhalten geführt haben, müssen aufgeklärt werden. Damit wollen wir das Vertrauen in die Polizei stärken. Denn die große Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten leistet eine hervorragende Arbeit. Es darf daher keinen Generalverdacht gegenüber unserer Polizei geben. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat daher gefordert, im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie zu untersuchen, wie weit verbreitet rassistische und extremistische Einstellungen in der Polizei und den anderen Sicherheitsbehörden sind. Auch die deutsche Polizeiausbildung ist im internationalen Vergleich besonders gut. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Radikalisierung, Extremismus und Rassismus müssen in der Ausbildung dennoch ebenso wie die Sensibilität für Diskriminierung eine stärkere Rolle spielen. Polizeiliches Handeln muss immer nachvollziehbar sein, wir fordern daher eine pseudonyme Kennzeichnungspflicht für Beamtinnen und Beamte. Unsere Bundestagsfraktion hat sich zudem dafür eingesetzt, die Vertrauensstelle bei der Bundespolizei weiterzuentwickeln, so dass sich auch Bürgerinnen und Bürger an sie wenden können. Wir Freie Demokraten fordern ferner eine Ersetzung des Begriffs der „Rasse“ in Art. 3 Absatz 3 Grundgesetz durch eine zeitgemäße Formulierung.
Was wird Ihre Partei unternehmen, um rassistisch-institutionalisierte Praxen der Polizei wie Racial Profiling zu unterbinden?
Die Linke: Es braucht klare Regeln, um Racial Profiling zu verhindern: Verdachtsunabhängige Kontrollen auf der Basis von Gummiparagrafen wie im Bundespolizeigesetz müssen gestrichen werden. Polizist*innen und Beamt*innen, denen rassistisches, sexistisches oder homofeindliches Verhalten nachgewiesen wird, müssen konsequent disziplinarisch verfolgt werden, gegebenenfalls bis zur Entlassung aus dem Dienst.
Bündnis 90/Die Grünen: Wir GRÜNE wollen, dass die Bundespolizei Kontrollen so durchführt, dass Menschen hierdurch nicht diskriminiert werden. Daher fordern wir die Streichung des § 22 Abs. 1a BPolG und die Einführung einer echten Kontrollbefugnis mit klaren Zulässigkeitsvoraussetzungen für diskriminierungsfreie Kontrollen durch die Bundespolizei.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Racial Profiling, also das anlasslose Kontrollieren von Personen allein aufgrund äußerlicher Merkmale durch die Sicherheitsbehörden, ist diskriminierend und rechtswidrig. Wir wollen, dass unsere Sicherheitsbehörden frei von Stigmata und Rassismen im Kopf arbeiten. Nur dann können sie ihrer herausfordernden Aufgabe objektiv und gut gerecht werden. Deshalb sind für uns starke Sicherheitsbehörden jene, die sich nicht nur ihrer sicherheitspolitischen, sondern auch ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst sind. Deshalb brauchen wir – wie in der Gesellschaft insgesamt – auch in Polizei und Justiz eine gestärkte angewandte Kultur des Widerspruchs gegen Menschenfeindlichkeit. Dafür soll die Aus- und Weiterbildung in unseren Sicherheitsbehörden verbessert werden und insbesondere eine regelmäßige Supervision stattfinden. Auch in der Ausbildung von Richtern und Staatsanwälten soll die besondere Herausforderung im Umgang mit politisch motivierter Hasskriminalität als fester und stetiger Bestandteil integriert werden.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): Grundsätzlich richten sich Identitätskontrollen der Bundespolizei nach aktuellen Lageerkenntnissen, Lagebildern oder individuellem gefahrenbegründenden Verhalten aus. Die entsprechenden Befugnisnormen sind für jede Person unterschiedslos geltende sowie unterschiedslos wirkende Regelungen, die an objektive Kriterien anknüpfen. CDU und CSU halten es für richtig, dass Polizeibeamtinnen und -beamte laufend für menschenrechtskonforme Identitätskontrollen in geeigneten Formaten, wie der bundespolizeilichen Aus- und Fortbildung, sensibilisiert werden.
Freie Demokratische Partei (FDP): – keine Antwort –
Wie planen Sie, unabhängige Kontrollen und Beratungsstrukturen in den Sicherheitsbehörden einzuführen?
Die Linke: Wir wollen eine*n unabhängige*n Polizeibeauftragte*n, der/die durch den Bundestag gewählt wird und mit umfassender Ermittlungsbefugnissen gegenüber den Polizeibehörden ausgestattet ist und den Bundestag in Fragen der Sicherheitsgesetzgebung und des Gesetzesvollzugs berät. Selbstverständlich kann er/sie auch von den Behörden selbst um Beratung gebeten werden. Für Opfer rechtswidriger oder diskriminierender Gewalt sollen neben dem/der Polizeibeauftragte*n auch weitere, öffentlich geförderte zivilgesellschaftliche Strukturen zur Beratung zur Verfügung stehen.
Bündnis 90/Die Grünen: Wir GRÜNE fordern eine deutliche Stärkung der externen und parlamentarischen Kontrolle sowohl der Polizei wie auch der Geheimdienste. Als ausführendes Organ des staatlichen Gewaltmonopols hat die Polizei eine besondere Verantwortung. Daher fordern wir die Einführung einer Stelle einer/eines unabhängigen Bundespolizeibeauftragten mit umfassenden Kompetenzen. Die neu zu schaffende Stelle soll als Ansprechperson für Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei wie auch Bürger*innen- und Menschenrechtsorganisationen zur Verfügung stehen, zum Beispiel bei rassistischen oder rechtsextremen Vorfällen. Sie soll die Möglichkeit bieten, Missstände und Fehler im Hinblick auf die Arbeit der Polizeien des Bundes mitzuteilen, ohne Sanktionen oder berufliche Nachteile fürchten zu müssen.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Gegen jede rechtsextreme Tendenz in den Reihen von Sicherheitsbehörden und Justiz muss mit Mitteln der inneren Führung konsequent vorgegangen werden. Das gleiche gilt für die Verfassungsschutzämter in Deutschland, wie auch für die Bundeswehr. Auf Bundesebene wollen wir zudem eine(n) unabhängige(n) Beauftragte(n) der Bundesregierung für Antirassismus berufen, welche(r) auf rassistische Missstände aufmerksam macht und Lösungen vorschlagen soll, wie diese zu beheben sind. Wir gehen davon aus, dass zur Unterstützung dieser Aufgabe ein Beirat berufen wird. Deshalb können wir die Forderung dem Grunde nach unterstützen. Zudem wollen wir einen besseren Austausch und ein abgestimmtes Vorgehen, durch die Schaffung einer Bund-Länder- Kommission.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): CDU und CSU sehen angesichts der bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten derzeit keinen Bedarf für eine weitere Beschwerdeinstanz. In unserem Rechtsstaat kann jegliches Verwaltungshandeln von Behörden grundsätzlich mittels eines Rechtsbehelfes überprüft werden. Neben formlosen Rechtsbehelfen – wie z. B. Dienst-/Fachaufsichtsbeschwerde – stehen förmliche Rechtsbehelfe – wie etwa Widerspruch, Antrag auf richterliche Entscheidung, Anfechtungs- oder Feststellungsklage – zur Verfügung. Auch das behördliche Beschwerdemanagement sieht verschiedene Beschwerdemöglichkeiten vor, um ein individuelles Fehlverhalten von einzelnen Angehörigen der Sicherheitsbehörden in einem unabhängigen Verfahren überprüfen zu lassen.
Freie Demokratische Partei (FDP): – siehe Antwort zu Frage 1-
Wie steht Ihre Partei zur Verwendung von algorithmischem Policing wie PRECOPS, welches bereits in sieben Bundesländern angewandt wird. Und was planen Sie, um algorithmischen Rassismus abzubauen?
Die Linke: Wir lehnen den Einsatz von algorithmenbasierter Software zur „Vorhersage“ von Straftaten ab, insbesondere wenn sie personenbezogene (statt allein georeferenzierte) Daten verarbeiten. Generell fordern wir beim Einsatz von KI in der Verarbeitung personenbezogener Daten regulatorische Maßnahmen, die sicherstellen, dass diese KI-Systeme nicht mit diskriminierungsbelasteten Daten lernen und regelmäßig auf diskriminierende Ergebnisse geprüft werden. Entscheidungen mit Grundrechtsrelevanz dürfen nicht automatisiert getroffen werden.
Bündnis 90/Die Grünen: Wir wollen technisch und personell gut ausgestattete und zielgerichtete Polizeiarbeit auf klaren Rechtsgrundlagen. Die digitale Kompetenz in den Sicherheitsbehörden wollen wir stärken, damit bestehende Möglichkeiten zur Verbrechensverhütung und -aufklärung effektiv angewendet werden. Den Einsatz von Massenüberwachung zum algorithmischen Policing und biometrischer Identifizierung im öffentlichen Raum (Gesichtserkennung) lehnen wir ebenso wie die undifferenzierte Ausweitung der Videoüberwachung ab. Wir GRÜNE wollen Qualitätskriterien und die europäischen Regeln für Transparenz und Überprüfbarkeit vorantreiben. Wir wollen einen nach Risiken abgestuften Ordnungsrahmen, klare Regeln zur Nachvollziehbarkeit, zum Datenschutz, zur Datenqualität, zur Kontrolle und Haftung, zur Rechtssicherheit für Betroffene. Kontrollbehörden müssen gestärkt, das AGG modernisiert werden und es braucht strenge Kriterien für den Einsatz von automatischen Entscheidungen, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): „Predictive Policing“ kann für bestimmte Deliktsbereiche eine sinnvolle weitere polizeiliche Maßnahme sein. Wir sehen jedoch, dass noch zahlreiche wichtige Fragen offen sind (Diskriminierung, Datenschutz) und wollen die Forschung daran verfolgen. Zentral ist für uns vor allem, sicherzustellen, dass Algorithmen nicht diskriminieren – die Zielsetzung einer algorithmischen Entscheidung muss klar und überprüfbar definiert sein. Hierfür brauchen wir eine stringente Regulierung und Aufsicht.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): Softwaregestützte Werkzeuge, wie etwa das „predictive policing“ oder die automatische Erkennung von strafbaren Inhalten im Internet, können einen wichtigen Beitrag zur Verbrechensbekämpfung in unserer modernen Welt leisten. Bei der Anwendung von KI- Systemen müssen allerdings ethische Fragen bedacht werden, insbesondere wenn Grundrechte berührt werden. Bei allen Anwendungen von KI-Systemen in Fragen der Inneren Sicherheit ist eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Interesse nach mehr Sicherheit und möglichen Einschränkungen von Menschen- und Bürgerrechten zu treffen. KI-Systeme müssen mit hoher Sensibilität entwickelt werden. Aus Sicht von CDU und CSU ist es zentral, dass die Forschung zum Thema diskriminierende Algorithmen weiter auf hohem Niveau fortgeführt wird, und dass Verständnis und Funktionsweise von Algorithmen in alle Bildungsbereiche integriert wird. Weiterhin braucht es Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Erklärbarkeit von KI-Entscheidungen, damit eine gerichtliche Überprüfung automatisierter Entscheidungen möglich ist.
Freie Demokratische Partei (FDP): Wir lehnen den Einsatz von Instrumenten des Predictive Policing nicht grundsätzlich ab. Diese Instrumente sind aber recht unterschiedlich: Eine statistische Vorhersage auf Basis anonymisierter Daten, in welcher Gegend möglicherweise gehäuft mit bestimmten Delikten zu rechnen ist, kann die bisherigen kriminalistischen Einschätzungen ergänzen und helfen, den Einsatz von Polizeikräfte besser zu steuern. Hierbei ist – wie bei allen Algorithmen – durch Qualitätssicherungsmechanismen dafür zu sorgen, dass sich aufgrund der verwendeten Rohdaten keine Vorurteile in der Prognose niederschlagen. Anders zu beurteilen sind Programme, auf deren Basis Empfehlungen für polizeiliches Handeln gegeben werden, das unmittelbar eine Person betrifft (z.B. mittels Gefährderansprache oder gezielter Kontrolle). Hier werden differenziertere gesetzliche Regelungen notwendig sein – (z.B. zum Einsatzbereich, zu den verwendeten Daten, der Gewährleistung einer menschlichen Letztentscheidung oder zur Vermeidung von Diskriminierung).
Rechtspolitik
Rassismus ist allgegenwärtig. Rassismus hierarchisiert, differenziert, ist verankert in den Strukturen, festgeschrieben in der Sprache und manifest in den Institutionen. Im Jahr 2020 verabschiedete das Abgeordnetenhaus von Berlin als erstes Landesparlament ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG). Das Ziel dieses Gesetzes war es, den Schutz vor Rassismus und weiteren Diskriminierungsformen durch öffentlich-rechtliches Handeln zu verbessern und Rechtsschutzelemente zu etablieren. Denn der begrenzte Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf Bundesebene, der sich maßgeblich auf privat-rechtliche Beziehungen und Erwerbstätigkeiten erstreckt, weist erhebliche Rechtslücken auf, die verdeutlichen, dass Deutschland der Verpflichtung zur wirksamen Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien sowie internationaler Übereinkommen nicht hinreichend nachkommt. Zudem findet das Konzept der Intersektionalität im geltenden Recht als Analyseinstrument auf Bundesebene kaum Anwendung, sodass es an der rechtlichen Handhabung und an einem Rechtsschutz vor mehrdimensionaler Diskriminierung mangelt. Eine rechtliche Anerkennung mehrdimensionaler Diskriminierung und Anwendung von Intersektionalität als Analysekategorie in der Rechtsprechung ist dringend geboten. Dass unser Rechtssystem reformbedürftig ist, steht daher außer Zweifel.
Denn durch Rechtsetzung, Rechtsauslegung und -anwendung werden bestehende Herrschaftssysteme aufrechterhalten und die Unsichtbarmachung von struktureller Diskriminierung billigend in Kauf genommen.
In welcher Weise und mittels welcher Instrumente beabsichtigen Sie, institutionellen Rassismus insbesondere in Justizbehörden abzubauen?
Die Linke: DIE LINKE fordert: Antirassismus ins Gesetz! Es braucht einen Diskriminierungsschutz, der auch staatliches Handeln einbezieht. Aus diesem Grund fordern wir ein Bundesantidiskriminierungsgesetz (BADG) zum Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen. Wir wollen eine*n Antirassismus-Beauftragte*n mit echten Befugnissen.
Bündnis 90/Die Grünen: Fortbildung ist hier von besonderer Bedeutung für die Justizbehörden, die ganz überwiegend Ländersache sind. Wir GRÜNE haben mehrfach Gesetzentwürfe eingebracht für ein Fortbildungsrecht und eine Fortbildungspflicht für Richter*innen und Staatsanwält*innen – eine derartige Änderung des Deutschen Richtergesetzes hat die Regierungskoalition allerdings bislang abgelehnt. Von Bundesseite kann und sollte auch inhaltlich unterstützt werden durch entsprechendes digitales und analoges Fortbildungsmaterial, wie z.B. den Reader des Deutschen Instituts für Menschenrechte „Rassistische Straftaten erkennen und verhandeln“.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht vor den Institutionen Halt macht. Das Justizwesen bildet hier keine Ausnahme. Wir wollen auch im Justizwesen den Blick für institutionellen Rassismus schärfen. Dies kann durch Sensibilisierung durch Schulungen, Meldestellen und auch Disziplinarmaßnahmen innerbehördlich erreicht werden. Das Justizwesen ist als Hüter von Recht und Gesetz hier besonders gefordert.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): CDU und CSU halten es für wichtig, dass der Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus eine Vielzahl von Maßnahmen vorsieht. Diese Maßnahmen bilden nun die Grundlage für das weitere Vorgehen. Entsprechend setzen wir uns weiterhin u. a. für Weiterbildungen im Bereich Rechtsextremismus/Rassismus/Antisemitismus in der Justiz ein. Dazu gehören Fortbildungsveranstaltungen an der Deutschen Richterakademie und die Förderung von Projekten des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Freie Demokratische Partei (FDP): – siehe Antwort zu Frage 2 –
Welche Rechtsnormen auf Bundesebene möchte Ihre Partei i.S.d. Art. 6 ICERD einführen, um den unzureichenden rechtlichen Schutz vor Rassismus zu verbessern und einheitliche Durchsetzungsmechanismen zu ermöglichen?
Die Linke: DIE LINKE fordert: Antirassismus ins Gesetz! Es braucht, wie in Thüringen, eine klare Arbeitsdefinition von institutionellem und strukturellem Rassismus. Zudem fordern wir eine grundlegende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und ein Verbandsklagerecht. Weiter braucht es institutionalisierte Hilfs- und Beratungsstrukturen für Menschen mit Rassismuserfahrungen bzw. anderen Diskriminierungserfahrungen, die niedrigschwellig und angemessen sind. Diese Strukturen sollen flächendeckend regelfinanziert werden. DIE LINKE fordert, in Artikel 3 des Grundgesetzes eine Schutz- und Förderklausel gegen rassistische Diskriminierung aufzunehmen.
Bündnis 90/Die Grünen: Wir GRÜNE fordern eine Änderung an der Spitze der deutschen Rechtsordnung, nämlich im Grundgesetz den (historisch als Abkehr von der NS-Rasseideologie zu verstehenden) Begriff „Rasse“ in den Diskriminierungsverboten des Art.3 Abs. 3 Satz 1 durch “ rassistisch“ zu ersetzen und dies zu kombinieren mit einer Ergänzung zum Schutz gegen gruppenbezogene Menschenwürdeverletzungen. Der Satz aus dem Grünen Gesetzentwurf (BT-Drs 19/24434) lautet: „Der Staat gewährleistet Schutz gegen jedwede gruppenbezogene Verletzung der gleichen Würde aller Menschen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Die Regierungskoalition hat bislang eine abschließende Behandlung dieses Grünen Gesetzentwurfs blockiert. Auch in der Rechtsordnung im Übrigen gibt es erheblichen Änderungsbedarf. So wollen wir zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu einem echten Bundesantidiskriminierungsgesetz weiterentwickeln (siehe dazu auch Antwort auf Frage 8).
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Wir wollen die Schutzlücken im AGG schließen. Die Antidiskriminierungsstelle hat bereits 2016 sehr gute Vorschläge erarbeitet, die dem AGG eine größere Durchschlagkraft geben würden. Die SPD hat sich in der 19. Wahlperiode für deren Umsetzung eingesetzt – leider vergeblich, denn sogar eine bereits im Kabinett geeinte Verlängerung der Präklusionsfristen von zwei auf sechs Monate ist am Widerstand der Unionsfraktion gescheitert. Wir werden in der kommenden Legislaturperiode für einen verbesserten Antidiskriminierungsschutz kämpfen. Dazu zählen für uns unter anderem die Verlängerung der Klagefrist, die Streichung der wohnungsrechtlichen Ausnahmetatbestände, die Erweiterung des AGG auf den öffentlichen Sektor sowie die Stärkung der Antidiskriminierungsstelle. Die SPD fordert außerdem die Einführung eines Verbandsklagerechts bei AGG- Verstößen. Künftig sollen nicht mehr nur Betroffene, die sich von Arbeitgebern, Dienstleistern oder Vermietern benachteiligt fühlen, klagen dürfen, sondern auch qualifizierte Verbände sowie die Antidiskriminierungsstelle selbst.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): CDU und CSU sehen einen unzureichenden rechtlichen Schutz vor Rassismus als nicht gegeben. Insbesondere der 23. – 26. Bericht der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 9 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) stellt klar, dass bei diskriminierenden Handlungen von staatlicher Seite gemäß Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz der Rechtsweg garantiert ist. Individuelle Beschwerden über rassistische Diskriminierungen können nicht nur gegenüber der unabhängigen Justiz vorgebracht werden. Daneben besteht die uneingeschränkte Möglichkeit, Menschenrechtsinstitutionen zu informieren und deren Rat zu suchen. Eine besondere Rolle als Beratungsorgan nimmt dabei die Antidiskriminierungsstelle ein. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität wurde in dieser Legislaturperiode zudem der strafrechtliche Schutz verbessert.
Freie Demokratische Partei (FDP): Wir Freie Demokraten bekennen uns ausdrücklich zum Schutz vor Diskriminierung jedweder Art und den dazu erlassenen Schutznormen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Sofern hier Schutzlücken bestehen, sollten diese auch geschlossen werden. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, permanent zu prüfen, ob die getroffenen Maßnahmen noch ausreichend sind oder ob diese angepasst werden müssen; dies gilt auch und insbesondere für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, dessen Zweck es insbesondere ist, rassistische Diskriminierungen zu verhindern (§ 1 AGG). Besonders wichtig ist uns, dass jeder Mensch Zugang zum Recht hat. Gerade wenn bei der Rechtsverfolgung materielle Schäden nicht im Vordergrund stehen, bestehen oft Hürden, gerichtlich gegen Verletzungen vorzugehen. Wir werden diesen Punkt daher im Auge behalten.
Welche konkreten Maßnahmen Ihrer Partei zielen darauf ab, die Rechtslücken hinsichtlich des Zusammenwirkens von mehreren Diskriminierungsformen („Intersektionalität“) zu schließlich und bundeseinheitliche Regelungen zum Schutz vor mehrdimensionaler Diskriminierung zu gewährleisten?
Die Linke: – siehe Antworten zu Frage 1 & 2 –
Bündnis 90/Die Grünen: Antidiskriminierungspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die wir GRÜNE intersektional denken. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wollen wir zu einem echten Bundesantidiskriminierungsgesetz weiterentwickeln, das Schutzlücken endlich schließt, Klagen gegen Diskriminierung für Betroffene vereinfacht und ein umfassendes Verbandsklagerecht einschließt, damit gegen Diskriminierung strukturell und nachhaltig vorgegangen werden kann. Um den Schutz vor mehrdimensionaler Diskriminierung zu gewährleisten, werden wir sicherstellen, dass die intersektionale Perspektive bei der Gesetzesreform stets mitbedacht wird. Zudem werden wir uns für die Verabschiedung der 5. Antidiskriminierungsrichtlinie einsetzen, damit international anerkannte Menschenrechte in der EU eine Rechtsgrundlage erhalten und die VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf europäischer Ebene rechtlich umgesetzt wird.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Wir Sozialdemokrat*innen stehen für eine Gesellschaft des Respekts. Eine Gesellschaft, in der wir uns gegenseitig anerkennen, auch wenn wir in vielerlei Hinsicht verschieden sind. Es geht darum, allen Bürger*innen zu garantieren, dass sie dieselben Chancen und Möglichkeiten haben – frei von Diskriminierung. Dafür werden wir u.a. die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken. Um Schutzlücken zu schließen, werden wir zudem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz modernisieren. Gleichzeitig werden wir nachdrücklich gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit, Antifeminismus, Sexismus und LSBTIQ*- Feindlichkeit vorgehen. Dabei haben wir das Zusammenwirken unterschiedlicher Diskriminierungsmerkmale stets im Blick. Ein besserer Austausch und ein abgestimmtes Vorgehen, zum Beispiel durch die Schaffung einer Bund-Länder- Kommission, ist ein wichtiger Schritt. Zudem müssen Straftaten in diesem Bereich konsequenter erfasst und geahndet werden.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): CDU und CSU lehnen Diskriminierung jeder Art ab. Wir betrachten die Antidiskriminierungsstelle des Bundes als wichtiges Instrument im Kampf gegen jede Form von Diskriminierung. Dies gilt auch für den Fall mehrerer Diskriminierungsformen. Weiterhin orientieren sich die konkreten Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung an dem Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus.
Freie Demokratische Partei (FDP): Klar ist für uns, dass die Diskriminierung wegen jedes einzelnen Merkmals unzulässig ist. Wir werden auch hier im Auge behalten, welche Rechtsschutzlücken sich für Menschen ergeben, die aus mehreren Gründen diskriminiert werden, weil das geltende Recht diese besondere Konstellation gegebenenfalls nicht ausreichend erfasst.
Gesundheitswesen
Die in der Gesellschaft verankerten rassistischen Stereotype und Zuschreibungen beeinflussen nachweislich die medizinische Versorgung von Schwarzen Menschen. Die Diagnose und rassistische Konstruktion „Morbus Bosporus/Morbus Mediterraneus“, bei der nicht-weiße Patient*innen Schmerzen sowie Symptome abgesprochen werden, wird immer noch vom medizinischen Fachpersonal angewandt. Anstelle einer eingehenden medizinischen Behandlung werden Beschwerden nicht ernst genommen und ignoriert, wodurch die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose immens erhöht wird. Dass etwaige Diskriminierungspraktiken gesundheitsschädliche und lebensgefährliche Folgen haben können und trotzdem Bestandteil des Gesundheitssystems sind, untermauert die Wirkungsmacht von Rassismus in Denk- und Handlungsmechanismen. Doch schon in der medizinischen Ausbildung werden vorrangig Krankheitsbilder an weißen Körpern veranschaulicht. Dabei wird jedoch verkannt, dass Krankheitssymptome bei unterschiedlichen Hautfarben anders in Erscheinung treten können und ausgebildetes medizinisches Fachpersonal systematisch nicht darauf vorbereitet wird. Eine rassismus- und machtkritische sowie diskriminierungssensible Anpassung der Ausbildungsinhalte von medizinischem sowie psychotherapeutischem Personal ist daher unabdingbar. Zumal es nicht nur an einem gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein bezüglich vorherrschender Machtstrukturen in unserer Gesellschaft fehlt, welche insbesondere durch die COVID-19-Pandemie sichtbarer wurden, sondern auch hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen von rassistischer Diskriminierung auf die physische und psychische Gesundheit.
Medizinische Behandlungen in Gesundheitseinrichtungen sind für Schwarze Menschen geprägt von Stigmatisierungen, Traumatisierungen, Zugangsbarrieren und Absprechen der eigenen Lebensrealitäten.
Mithilfe welcher Maßnahmen plant Ihre Partei, Rassismus im Gesundheitssystem zu dekonstruieren und konsequent abzubauen?
Die Linke: Mit dem Aufbau und der Förderung von public health-Studiengängen in Ländern mit linker Regierungsbeteiligung wie Berlin hoffen wir, dass dort ebenfalls bereits in der Ausbildung für den öffentlichen Gesundheitsdienst und Gesundheitsdienstleistungen verstärkt das Augenmerk auf rassismus-induzierte Erkrankungen und das Fortwirken rassistischer Strukturen innerhalb des Systems der Gesundheitsversorgung gelenkt wird.
Bündnis 90/Die Grünen: Rassismus erschwert den Zugang zum Gesundheitssystem für viele Menschen in Deutschland. In unserer Einwanderungsgesellschaft ist der gleichwertige, diskriminierungsfreie und anonyme Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Menschen – auch unabhängig ihres Aufenthaltsstatus oder ihres Krankenversicherungsstatus – essentiell. Nicht nur während der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, dass insbesondere Menschen ohne Papiere oder ohne Zugang zu Krankenversicherungen noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Hier sind weitere Maßnahmen dringend erforderlich, etwa durch die Einführung des anonymen Krankenscheins, Abschaffung der Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten an öffentlichen Stellen und die Stärkung von Beratungsnetzwerken. Sprache darf bei der Gesundheitsversorgung keine Hürde sein, weshalb wir GRÜNE einen Anspruch auf qualifizierte Sprachmittlung im SGB V schaffen wollen. Es gibt außerdem einen großen Bedarf, medizinische Informationen mehrsprachig anzubieten.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Patient*innen haben einen Anspruch auf diskriminierungsfreien, barrierefreien und bedarfsorientierten Zugang zu den Leistungen unseres Gesundheitssystems und Lernende, Studierende, Beschäftigte müssen diskriminierungsfreie Arbeits- Lern- und Forschungsbedingungen vorfinden. Leider sehen wir aber, dass Rassismus im Gesundheitsbereich sowohl in Forschung und Lehre als auch im Versorgungsalltag allgegenwärtig ist. Diskriminierende Strukturen müssen dringend identifiziert und abgebaut, Information und Aufklärung intensiviert werden. Dafür ist ein Instrumentenkasten erforderlich, der systematisch zu erarbeiten ist und ganz unterschiedliche, verantwortliche Akteure umfasst. Die SPD sieht hier Handlungsbedarf.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): CDU und CSU treten Rassismus auf allen Ebenen der Gesellschaft entschieden entgegen. Das gilt auch für das Gesundheitswesen. Im Gespräch mit den Selbstverwaltungspartnern werden wir alles uns Mögliche tun, um Rassismus und Diskriminierung im Gesundheitswesen zu verhindern. Wir sorgen dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zu einer guten, diskriminierungsfreien digitalen, wohnortnahen und möglichst barrierefreien Gesundheits- und Pflegeversorgung haben. Sollte es dennoch zu Fällen rassistischer Diskriminierung kommen, gelten auch im Gesundheitsbereich die strafrechtlichen Vorschriften. Darüber hinaus kann auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zurückgegriffen werden. Zudem können sich Betroffene an die Berufskammern wenden. Im Falle von Verstößen gegen die Berufsordnung können sie Sanktionen wie Geldstrafen bis hin zum Entzug der Approbation verhängen. Neben dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesärztekammer haben einige Landesärztekammern gezielt Anti-Rassismusbeauftragte eingesetzt. Diese Bemühungen unterstützen wir. Gerade im Gesundheitswesen arbeiten in Deutschland Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Sie unterstützen wir über die Anerkennungsverfahren ausländischer Berufsabschlüsse. Gerade für ausländische Pflegefachkräfte wollen wir die Willkommenskultur stärken.
Freie Demokratische Partei (FDP): Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, dass jede Patientin und jeder Patient die beste Versorgung erhält. Dafür muss die Gesundheitsversorgung künftig umfassend, regional und patientenzentriert gedacht werden. Wir wollen die künstliche Sektorenbarriere zwischen dem ambulanten und dem stationären Versorgungsbereich konsequent abbauen und die Verzahnung und Vernetzung aller Versorgungsbereiche weiterentwickeln. Den Rettungsdienst wollen wir modernisieren und die Notfallversorgungsstrukturen bedarfsgerechter und vernetzter gestalten. Integrierte Gesundheitszentren sollen dabei unterstützen, die regionale Grundversorgung mit ambulanten und kurzstationären Behandlungen zu sichern.
Welches Konzept werden Sie in die Wege leiten, um die in der Gesellschaft verankerten rassistischen Stereotype und Stigmatisierungen im Gesundheitsbereich abzubauen?
Die Linke: – siehe Antwort zu Frage 1 –
Bündnis 90/Die Grünen: Wir GRÜNE setzen uns für eine inklusive und diskriminierungsfreie Gestaltung des Gesundheitswesens ein. Der Schutz vor Diskriminierung und Rassismus sollte auch in der Aus-, Weiter- und Fortbildung des Personals Berücksichtigung finden. Damit gleichwertiger Gesundheitszugang für alle möglich ist, wollen wir den öffentlichen Gesundheitsdienst stärken. Noch ist die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu kompliziert und bietet nicht für alle ausreichende Qualität, Sicherheit und Effektivität. Ein neu zu gründendes Bundesinstitut für Gesundheit soll gemeinsame, langfristige Gesundheitsziele entwickeln, die Qualität und Koordination der Gesundheitsdienste sichern und durch die Bündelung bestehender Strukturen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen. Die Bedürfnisse der Patient*innen und Pflegebedürftigen stehen für uns im Mittelpunkt. Deswegen wollen wir die Möglichkeiten der Patient*innen- und Versichertenvertretung in den Gremien des Gesundheitswesens ausbauen.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): – siehe Antwort zu Frage 1 –
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): – siehe Antwort zu Frage 1 –
Freie Demokratische Partei (FDP): – siehe Antwort zu Frage 1 –
Wird Ihre Partei Förderprogramme in Forschung von Rassismus-induzierten Erkrankungen etablieren und wie setzt sich Ihre Partei überdies dafür ein, dass Fehlbehandlungen und -diagnosen aufgrund des Mangels an Race-und Ethnizität-basierter medizinischer Forschung künftig verhindert wird?
Die Linke: Rassismus-induzierte Erkrankungen, insbesondere rassismusinduzierter Stress, sind bislang in Deutschland wenig erforscht. Gerade bei Stresserkrankungen wird die Auswirkung von Rassismuserfahrungen bislang wenig berücksichtigt oder geleugnet. Deshalb erscheint es uns sinnvoll, diese Aspekte in der Forschungsförderung des Bundes zu etablieren.
Bündnis 90/Die Grünen: Gute Gesundheitspolitik umfasst nicht nur einen besseren Zugang, sondern auch eine Politik, die vorsorgt, die Ursachen von Krankheiten in den Blick nimmt und bekämpft sowie (Präventions-)forschung fördert und vorausschauend handelt. In unserer Einwanderungsgesellschaft muss es ein zentrales Anliegen sein, dass allen Menschen die richtige Gesundheitsbehandlung zukommt und Fehlbehandlungen möglichst ausgeschlossen sind. Wir GRÜNE denken Gesundheitspolitik von den Bedürfnissen der Patient*innen und Pflegebedürftigen aus. Wir wollen allen die beste medizinische Versorgung, Betreuung und Beratung ermöglichen und sie in die Lage versetzen, informierte und selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können. Bei Behandlungsfehlern müssen Betroffene wirksame Hilfe und Unterstützung bekommen und schneller Entschädigungen erhalten. Patient*innensicherheit umfasst auch, Strukturen zur Fehlervermeidung, auch aufgrund rassistischer Stereotype, flächendeckend einzuführen.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Ja, es besteht dringender Forschungsbedarf und die SPD unterstützt die Etablierung entsprechender Forschungsvorhaben.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU): CDU und CSU halten es für richtig, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) im Rahmen des Gesundheitsmonitorings regelmäßig Daten zu Gesundheit und Migration erhebt. Dies wollen wir fortsetzen und die personellen und finanziellen Ressourcen bereitstellen, um das RKI zum Public Health Institut auszubauen. Über die Förderung einzelner Forschungsprogramme werden wir im Laufe der kommenden Legislaturperiode entscheiden und dazu auch das Gespräch mit fachkundigen Verbänden suchen und die Expertise Betroffener einbeziehen.
Freie Demokratische Partei (FDP): Als Freie Demokraten bekennen wir uns zum Prinzip der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Deshalb werden wir auch weiterhin die Therapie- und Forschungsfreiheit unterstützen und uns gegen politische Vorgaben aussprechen.
Koloniale Kontinuitäten
Die Black Lives Matter Proteste in ganz Deutschland haben seit Jahrzehnten andauernde Debatten um einen verantwortungsbewussten Umgang mit kolonialen Kontinuitäten intensiviert. Diese werden nicht zuletzt als Fortwirkung von Hierarchien sichtbar, die seit der Kolonialzeit in Kultur, Wirtschaft und Politik Deutschlands wirkmächtig sind. Dass koloniale Hierarchien den Alltag in Deutschland prägen, zeigt sich deutlich in den Kontrasten internationaler Mobilität: Während ein deutscher Pass zu globaler Mobilität befähigt und Deutschland bedenkenlos auf globale Waren und Rohstoffe zugreift, ist die Europäische Union zugleich das Zentrum eines tödlichen Migrationsregimes, das insbesondere Menschen aus vormals kolonisierten Gebieten ausschließt. Wer vor Krieg, Vertreibung oder wirtschaftlicher Ausbeutung flieht, in denen zumeist koloniale Hierarchien weiter wirken, muss insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent feststellen, dass Europa zur Verhinderung von Bewegungsfreiheit der Menschen im Globalen Süden bereit ist, Gewalt anzuwenden. Auch Restitutionsdebatten zeigen das Ausmaß der kolonialen Plünderung indigener Kulturschätze und menschlicher Gebeine auf. Hunderttausende Kunstobjekte und viele tausend human remains lagern in Museen und Universitätskliniken in ganz Deutschland. Die offenkundigen Anhaltspunkte hinsichtlich der human remains, die seit der Kolonialzeit in deutschen Forschungseinrichtungen gelagert und bis heute für invasive Forschungen verwendet werden, zeigen auf, wie tief verankert bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse sind. Zudem wird das Berliner Humboldtforum aktuell mit 682 Millionen Euro Gesamtkosten zum teuersten Kulturprojekt Europas. Gleichzeitig wird aber nur ein Bruchteil des Geldes dafür aufgewendet, mittels Provenienzforschung die Herkunft der Objekte, die dort ausgestellt werden sollen, zu erforschen. Auch die Forderungen der Nachfahren, die im ersten Genozid des 20. Jahrhunderts im heutigen Namibia und im Kolonialkrieg im heutigen Tansania Opfer deutscher Kolonialgewalt wurden, verdeutlichen, dass etwaige Gewaltverhältnisse bis heute nachwirken.
Während es in der Politik zunehmend zur verbalen Anerkennung dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt, folgt daraus noch kein umfassender Versuch, für koloniale Kontinuität, von denen Deutschland bis heute in vielfacher Hinsicht profitiert, Verantwortung zu übernehmen.
Wie wird Ihre Partei sicherstellen, dass Deutschland in angemessener Form Verantwortung für von deutschen Truppen während der Kolonialzeit verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit übernimmt und dabei nicht nur die Regierungen der betroffenen Länder, sondern Vertreter*innen der tatsächlich betroffenen Gemeinschaften angemessen in ergebnisoffenen Verhandlungen einbezogen werden?
Die Linke: Wir fordern die Schaffung einer unabhängigen Bundesstiftung, die sich der Aufarbeitung des kolonialen Unrechts und seiner Nachwirkungen widmet. Das Wissen über deutsche Kolonialherrschaft, Kolonialverbrechen und antikolonialen Widerstand muss breiten Eingang in die Erinnerungskultur der Bundesrepublik finden. DIE LINKE setzt sich für die Rückführung ein. Wir wollen die Verfahren zur Restitution von Kulturraubgütern sowie menschlicher Gebeine aus kolonialen Kontexten gesetzlich regeln. DIE LINKE fordert, alle menschlichen Gebeine aus kolonialen Kontexten vollumfänglich und unverzüglich an die Nachfahren zu restituieren. Wir wollen Forschungen zur Provenienz menschlicher Gebeine aus kolonialen Kontexten, die ausschließlich der Rückführung dienen, in einem Format fördern, das eine umfassende Aufklärung sicherstellt und in einer zentralen mehrsprachigen Online-Datenbank veröffentlichen und sukzessiv erweitern. DIE LINKE hat diese Forderungen 2019 in einem Antrag (DRS 19/8961) in die Debatten im Bundestag eingebracht und wird sie auch weiterhin vertreten.
Wie genau wird Ihre Partei dafür sorgen, dass invasive Forschungen an menschlichen Gebeinen afrikanischer Menschen, die von deutschen Kolonialsoldaten zu rassistischen Forschungszwecken nach Deutschland gebracht wurden unterbunden, die Herkunft der menschlichen Gebeine identifiziert und mit diesen in einer für die Gemeinschaften der Nachfahren angemessenen Weise umgegangen werden?
Werden Sie sich für die Rückführung dieser kolonialen human remains/ menschlicher Überreste, die bis heute in der Charité und in vielen anderen deutschen Universitätskrankenhäusern lagern, einsetzen?
Durch welche konkreten Maßnahmen plant Ihre Partei, die Normalisierung eines tödlichen Grenzregimes im Mittelmeer, das laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) seit 2014 zu über 20 000 Toten geführt hat, in verantwortlicher Weise zu unterbinden?
Die Linke: Das tödliche Grenzregime und die Abschottungspolitik der EU sind eine Schande und mit den Menschenrechten nicht vereinbar. Zehntausende Tote an den EU-Außengrenzen als „Preis der Abschottung“ sind unerträglich! Wir fordern ein Ende dieser menschenrechtswidrigen Praxis und setzen uns für eine offene, humanitäre Flüchtlingspolitik der EU ein. DIE LINKE hat hierzu zahlreiche Anträge mit vielen Vorschlägen und Forderungen in den Bundestag eingebracht, etwa: „Für eine offene, menschenrechtsbasierte und solidarische Asylpolitik der Europäischen Union“ (Bundestagsdrucksache 19/577), „Seenotrettung im Mittelmeer sicherstellen – Keine Unterstützung der libyschen Milizen“ (Bundestagsdrucksache 19/4616) und „Faire Asylprüfungen in der Europäischen Union sicherstellen – Keine Asylverfahren und Lagersysteme an den Außengrenzen“ (Bundestagsdrucksache 19/27831). DIE LINKE fordert, dass der deutsche Kolonialismus und seine Wirkung in den internationalen Beziehungen bis heute aufgearbeitet werden. Kolonialismus muss endlich als Unrechtsherrschaft anerkannt werden. Wir wollen eine öffentliche Debatte innerhalb bundesdeutscher Einrichtungen sowie eine Unterstützung der antikolonialen Erinnerungskultur in den ehemaligen Kolonien. Dazu fordern wir die Einsetzung einer Enquetekommission des Bundestags und unterstützen die Initiative zur Errichtung eines zentralen Denk- und Mahnmals für die Opfer des deutschen Kolonialismus am Ort der sogenannten Afrika-Konferenz in Berlin.
Welche Schritte und politischen Initiativen plant Ihre Partei, um das Bewusstsein für die Bedeutung und Tragweite der deutschen und europäischen Kolonialgeschichte für die Gegenwart in der deutschen Bildungs- und Erinnerungspolitik zu verankern?
Wie wird Ihre Partei sicherstellen, dass Deutschland seiner Verantwortung im Rahmen der laufenden UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft gerecht wird, nachdem in den ersten Jahren der Dekade auf Bundesebene kaum nennenswerte Aktivitäten, Förderprogramme oder struktur- und kompetenzbildende Maßnahmen getroffen wurden?
Bildungswesen
Im deutschen Bildungssystem ist institutionelle Diskriminierung tief verankert. In Kindergärten, Schulen und Hochschulen werden Menschen täglich mit rassistischen, sexistischen, ableistischen, klassistischen sowie hetero- und cisnormativen Lehrmaterialien und -methoden konfrontiert. Schwarze deutsche Geschichte wird unsichtbar gemacht sowie missachtet. Und eine kritische Auseinandersetzung mit post- und dekolonialen Perspektiven findet in Bildung, Wissenschaft und Forschung kaum statt. Versklavung und Schwarzer Widerstand, Kolonisierung insbesondere deutschen Kolonialismus und Dekolonisierung werden nicht angemessen vermittelt. Stattdessen erfolgt die Vermittlung geschichtlicher Zusammenhänge von der Grundschule bis zur Universität aus weißer, eurozentrischer Perspektive und trägt eher dazu bei, Anti-Schwarzen Rassismus zu bekräftigen und zu verstetigen. Schwarze Perspektiven werden in ihrer Komplexität nicht miteinbezogen. Obwohl die afrikanische Diaspora in Deutschland eine der größten in Europa ist, fehlen in der deutschen Wissenschaftslandschaft bislang Schwarze Studien in vernetztem Austausch mit und in lokalisierender Umsetzung von Black und/oder Africana Studies Ansätzen. Denn die meist einseitige und unreflektierte Darstellung von Schwarzen Menschen wird als wirkmächtiger Einflussfaktor auf die Gesellschaft kaum problematisiert. In den Institutionen der Wissensvermittlung haben sich daher rassistische und stereotype Denk- und Handlungsmuster festgeschrieben, die Schwarze Menschen ausgrenzen, entwerten und somit nicht ermöglichen, die Geschichte und Gegenwart der afrikanischen Diaspora in Deutschland aus Eigenperspektive zu erlernen und zu betrachten.
Deutsche Bildungseinrichtungen sind keine diskriminierungskritischen oder gar diskriminierungsfreie Orte. Sie reproduzieren vielmehr Machtverhältnisse und koloniales Gedankengut, die in der Gesellschaft fortwirken und zur strukturellen Benachteiligung von Schwarzen Menschen führt.
Wie plant Ihre Partei auf Bundesebene, die Verankerung einer rassismus- und diskriminierungskritischen Kompetenzvermittlung in der Lehrer*innen Aus- sowie Fortbildung der Länder zu unterstützen?
Die Linke: Die Aufarbeitung und Erinnerung an den Kolonialismus und damit verbunden Sklavenhandel und die Sklaverei muss präsenter werden. Wir wollen Gedenkstätten als Gedenk- und Lernorte sowie als Dokumentationsstätten stärken. Gemeinsam mit lokalen Initiativen aus der Zivilgesellschaft wollen wir postkoloniale Kontinuitäten aufarbeiten und reflektieren, um zu einer demokratischen, antifaschistischen Kultur beizutragen. Die Einrichtung von Black Studies unterstützen wird und wollen das Thema Kolonialismus und Rassismus generell stärker im Bildungsbereich verankern.
Setzen Sie sich für die Etablierung von Black Studies/Africana Studies an deutschen Universitäten ein, die auf dem Wege einer Anschubförderung des Bundes gewährleisten soll, dass entsprechende Lehr- und Forschungskompetenzen in mehreren Bundesländern nachhaltig etabliert werden können?
Durch welche Maßnahmen planen Sie Black Studies/Africana Studies zu fördern, um einen internationalen Austausch von Forschung und Lehre zu ermöglichen?
Wird sich Ihre Partei für die Schaffung einer Forschungseinrichtung zu Antirassismus i.S.d. Art. 91b Abs. 1 GG einsetzen? Was plant Ihre Partei i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 Var. 2 GG konkret, um eine wissenschaftliche Forschung zur Diskriminierung von Schwarzen Menschen und dem Zusammenwirken von mehreren Diskriminierungsformen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu etablieren?
Die Linke: Ja, wir begrüßen die Idee einer solchen Einrichtung. Allerdings ist hier die erforderliche Zustimmung der Bundesländer zu beachten. Zielführender erscheint uns daher die gezielte Förderung der dezentralen Forschungseinrichtungen der Bundesländer und außeruniversitären Einrichtungen, die sich mit entsprechenden Fragestellungen befassen. Diese Institutionen und Forschungsanstrengungen gilt es in einer Forschungsplattform Antirassismus zu vernetzen und zu bündeln, um die Forschung in diesem Bereich zu stärken.
Afrikapolitik
Die Afrikapolitik Deutschlands ist von vielen Widersprüchen etwa zwischen internationaler Zusammenarbeit und Klimaschutz auf der einen und Außenwirtschaftspolitik und Agrarsubventionen auf der anderen Seite geprägt. Diese mangelnde Kohärenz hat fatale Folgen, denn sie ermöglicht die Gleichzeitigkeit von katastrophalen Auswirkungen für die Wirtschaft, Umwelt, das Klima sowie die Gesundheit der Bevölkerungen des afrikanischen Kontinents und der ungebrochenen Selbstdarstellung Deutschlands als „Partner“ afrikanischer Staaten. So werden Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (EPAs) zu Lasten afrikanischer Wirtschaftsräume geschaffen und koloniale Kontinuität geleugnet, um die wirtschaftliche Ausbeutung sowie neokoloniale Machtausübung im internationalen System zu rechtfertigen. Die Schuldenzahlungen, die afrikanische Staaten an Deutschland und internationale Organisationen, in denen Deutschland Ziehungsrechte hält, leisten muss, schränken die Souveränität und den Gestaltungsspielraum der Staaten ein und das, obwohl in vielen Fällen bereits ein Mehrfaches der zugrundeliegenden Schulden zurückgezahlt wurde und heutige Zahlungen sich aus Zins und Zinseszins ergeben. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der afrikanische Kontinent 1884/85 in Berlin aufgeteilt wurde, Deutschland das drittgrößte Kolonialreich auf dem afrikanischen Kontinent besetzt hielt und im heutigen Namibia den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts verübte, trägt Deutschland die Verantwortung, die eigene sowie die EU-Politik anders zu gestalten. Das bedeutet, nicht nur die Verantwortung für koloniale und neokoloniale Aggression und ihre Folgen als Lippenbekenntnis zu übernehmen, sondern auch diese aktiv als Unrecht anzuerkennen, durch eine kohärente Politik zu minimieren und entstandene Schäden auszugleichen. Deutsche Bildungseinrichtungen sind keine diskriminierungskritischen oder gar diskriminierungsfreie Orte. Sie reproduzieren vielmehr Machtverhältnisse und koloniales Gedankengut, die in der Gesellschaft fortwirken und zur strukturellen Benachteiligung von Schwarzen Menschen führt.
Welche konkreten Maßnahmen wird Ihre Partei ergreifen, um die Schädigung afrikanischer Wirtschaftsräume und Regionalpolitik durch die kontroversen Economic Partnership Agreements (EPAs), die afrikanischen Staaten aufgezwungen werden, zu beenden und umzukehren?
Welche bundespolitischen Maßnahmen wird Ihre Partei ergreifen, um den Export von in Deutschland und der EU nicht zugelassenen, gesundheitsschädlichen Agrarchemikalien wie unter anderem Saflufenacil in afrikanische Staaten zu unterbinden?
Was wird Ihre Partei konkret unternehmen, um den Export von durch EU-Agrarsubventionen, künstlich verbilligten Landwirtschaftserzeugnissen in afrikanische Staaten wirksam zu unterbinden?
Wie gedenkt Ihre Partei den Status Quo, bei dem die Souveränität und der Gestaltungsspielraum afrikanischer Staaten aufgrund von Schuldenzahlungen, die an Deutschland und internationale Organisationen zu leisten sind, zu durchbrechen?
Klimapolitik: Neokoloniales Greenwashing?
Die Außen- und Klimapolitik ist von postkolonialen Hierarchien gekennzeichnet: Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass diejenigen Menschen, die heute und in naher Zukunft die Auswirkungen der Klimakrise in Form von Überschwemmungen, voranschreitender Desertifikation, Ernteausfällen, Dürren und perspektivisch der Unbewohnbarkeit bestimmter Regionen besonders drastisch zu spüren bekommen werden, weder historisch noch gegenwärtig nennenswert viel zur Klimakatastrophe beitragen und z.B. kaum Treibhausgase verursachen – und in vormals kolonisierten Gebieten des Globalen Südens leben. Es zeigt sich auch darin, dass die entscheidenden Weichenstellungen über die Zukunft des Planeten von vormaligen Kolonialmächten getroffen werden, die aufgrund einer kolonial geprägten globalen Hierarchie, die Bedarfe der Mehrheit der Weltbevölkerung bislang ignorieren konnten. Wie tiefgreifend die Zusammenhänge zwischen kolonialer Geschichte, Klimanotstand heute und drohender Klimakatastrophe morgen sind, zeigen beispielhaft Pläne der Hamburger Stadtwerke, Buschholz aus Namibia als vermeintlich „klimaneutralen“ Brennstoff in der Hansestadt nutzen zu wollen. Von Hamburg aus stach die deutsche „Schutztruppe“, d.h. die Kolonialarmee, in See, die ab 1904 in der damaligen deutschen Kolonie „Deutsch Südwestafrika“ den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts an OvaHerero und Nama verübt hat – auch unter Einsatz des ersten offiziell so bezeichneten deutschen Konzentrationslagers. Die darauf folgende Landnahme durch deutsche Siedler prägt bis heute Landbesitz- und Landnutzungsverhältnisse in Namibia. Vor diesem Hintergrund wirkt die Extraktion und Verschiffung von namibischem Buschholz nach Deutschland nicht nur klima- sondern auch geschichtsvergessen.
Ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Tatsachen muss daher deren Anerkenntnis und eine verantwortungsbewusst korrigierende Politik beinhalten, die nicht nur zukunftsorientiert, sondern vor allem auch im Bewusstsein der historischen Verantwortung für den deutschen und europäischen Klimakolonialismus handelt.
Wie genau plant Ihre Partei, der Verantwortung für die koloniale Kontinuität nicht nur in der Klimakrise, sondern auch in der internationalen Klimapolitik konkret zu begegnen?
Wie wird Ihre Partei sicherstellen, dass Klimaschulden auf Basis historischer Emissionen auf UN Ebene festgelegt und auf eine Weise beglichen werden, die Greengrabbing vermeidet?
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Partei die deutschen Reduktionsziele am deutschen Carbon-Budget als Anteil am globalen Gesamtbudget zur Erreichung des 1,5 Grad Zieles bemisst – und dieses auch auf Basis historischer deutscher Emissionsschulden festlegt?
Welche Maßnahmen sind aus Sicht Ihrer Partei geboten, um sicherzustellen, dass die Delegationen des Globalen Südens materiell und technisch in die Lage versetzt werden, die Interessen ihrer Bevölkerungen in zukünftige Klimaverhandlungen einbringen zu können?
Was wird Ihre Partei unternehmen, damit neben Mitigation and Adaptation auch das Thema Loss and Damages, das für die Betroffenen im Globalen Süden besonders wichtig ist, Teil des internationalen Klimaprozesses wird und Deutschland sowie die G7 Staaten ihren Verpflichtungen aus dem Klimaabkommen von Paris nachkommen?
Energiepolitik
Die Bundesrepublik importiert derzeit rund zwei Drittel ihres Energiebedarfs in Form fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas. Um CO2-neutral werden zu können, wird neben dem Zubau von Wind- und Solaranlagen auch der Import grüner Energie aus dem Ausland für die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger*innen interessant. Sowohl die Bundesregierung, als auch die Energiewirtschaft setzen dabei vor allem auf Wasserstoff als Energieträger. Hier ist die Idee, dass günstiger Solar- und Windstrom in Afrika zur Herstellung von Wasserstoff verwendet werden soll, damit dieser dann in die Bundesrepublik transportiert werden kann. Der afrikanische Kontinent gilt wegen der geographischen Nähe zu Europa und den ertragreichen Wind- und Solarstandorten als besonders vielversprechend für solche Konzepte. Der sogenannte European Green Deal ist ein ambitioniertes Projekt für eine europaweite Energiewende. Doch damit diese Wende gelingen kann, muss der Deal globale Klimaungerechtigkeit adressieren. Da die EU historisch aufgrund ihrer mit Versklavung und Kolonialismus verbundenen wirtschaftlichen Entwicklung enorme globale Klimaschulden in Form historischer und aktueller Co2 Emissionen aufgehäuft hat, muss der EU Green Deal eine gerechte Energiewende in Afrika mit ermöglichen und darf sie in keinem Fall schwieriger gestalten oder gar verunmöglichen. Denn im Kontext der Finanzierung der Energiewende kommt es bereits zu neokolonialen Verwerfungen, die nicht zuletzt im Rahmen der, unter anderem von KfW und Deutscher Bank mitgestalteten, Energiefinanzierungskonzepte im südlichen Afrika entstanden sind. Hinsichtlich des sogenannten De-Risking wurden dort überdies Finanzierungskonzepte umgesetzt, die Gewerkschaften und wichtige Umweltverbände als Risiko einstufen und lokale sowie regionale Akteure aus der Beteiligung ausgeschlossen haben. Solche Vorgänge stehen beispielhaft für die Widersprüche der deutschen Energie-, Außen- und der sogenannten „Entwicklungs“politik.
Welche konkreten Maßnahmen wird Ihre Partei ergreifen, um afrikanischen Staaten eine gerechte Energie-Transition zu ermöglichen?
Wie genau plant Ihre Partei, die direkte und indirekte Förderung neokolonialer Verwerfungen im Rahmen der Energiewende auf dem afrikanischen Kontinent zu unterbinden und zu korrigieren?
Wie genau stellt Ihre Partei sicher, dass es im Rahmen des Imports von erneuerbaren Energien aus Afrika nicht zu einem erneuten einseitigen Extraktivismus kommt?