Kleine Anfrage der Abgeordneten Niema Movassat, Christine Buchholz, Sevim Dagdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger und der Fraktion DIE LINKE.
Weiterer Umgang mit menschlichen Gebeinen aus ehemaligen deutschen Kolonien und anderen Überseegebieten
Bis heute lagern in deutschen Universitäten und Museen eine unbestimmte größere Anzahl menschlicher Gebeine aus den ehemaligen deutschen Kolonien. 2008 deckte das MDR-Fernsehmagazin FAKT auf, dass sich allein in den Archiven der Universität Freiburg und der Berliner Charité rund 60 Schädel befinden, die zum Großteil aus den Massakern an den Herero und Nama stammen, welche deutsche Kolonialtruppen 1904 bis 1908 in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia begangen haben. Die Gebeine wurden einst zu menschenverachtenden „rassenkundlichen Forschungszwecken“ nach Deutschland verbracht. Die „Beschaffung“ erfolgte systematisch über die deutsche „Schutztruppe“: Häufig wurden Frauen dazu gezwungen, die abgetrennten Köpfe ihrer ermordeten Männer für die Verschiffung nach Deutschland auszuwaschen und die Haut mit Glasscherben abzukratzen (siehe Ursula Trüper: „Gewalt ist meine Politik“, Berliner Zeitung, 21. Mai 2011). Auch aus anderen deutschen Kolonien und Überseegebieten wurden menschliche Gebeine nach Deutschland verbracht und warten bis heute auf eine würdevolle Bestattung in ihren Herkunftsländern nach den Riten ihrer Angehörigen.
Als Reaktion auf die FAKT-Berichterstattung richtete die Berliner Universitätsklinik das Projekt „Charité Human Remains Project“ ein, welches die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 300 000 Euro förderte. Ende September 2011 wurden daraufhin erste 20 Schädel seitens der Charité an Namibia an die Nachfahren der Opfer zurückgegeben. Mit dem Hinweis darauf, dass die Gebeine sich im Besitz von Landeseinrichtungen befänden und dem Verweis auf die „Kulturhoheit der Länder“ spielte die Bundesregierung lediglich die Rolle eines Vermittlers und empfing unter anderem auch deshalb die aus Namibia Ende September 2011 angereiste große Delegation, der auch der damalige Kulturminister Kazenambo Kazenambo angehörte, nicht offiziell. Bei der Übergabezeremonie erschien die Staatsministerin beim Bundesminister des Auswärtigen Cornelia Pieper auch nur als „Gast“ und sorgte durch ihre Rede und ihr vorzeitiges Verlassen des Saals durch den Hinterausgang für einen Eklat (siehe DER TAGESSPIEGEL, 1. Oktober 2011, „Pieper sorgt bei Sch.delübergabe an Namibia für Eklat“).
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia haben sich daraufhin und noch verstärkt durch das Auftreten des damaligen deutschen Botschafters in Namibia deutlich verschlechtert (siehe The Namibian, 16. Dezember 2011, „Germany supports Kochanke“ undWindhoek Observer, 27. Januar 2012, „German ambassador peeves Pohamba“). Im Frühjahr 2012 entschuldigte sich der damalige Afrikabeauftrage im Auswärtigen Amt, Botschafter Walter Lindner, bei der namibischen Seite hierfür und stellte in Aussicht, dass künftige Übergaben von menschlichen Gebeinen in einem würdevolleren Rahmen stattfinden würden (siehe The Namibian, 3. Februar 2012, „Official apology still lacking“). Mittlerweile haben schon 2011 – von der Öffentlichkeit weitgehendste unbemerkt – die Sammlungen an menschlichen Gebeinen der Charité den Besitzer gewechselt und sind nach Informationen der Fragesteller – wie es schon länger im Gespräch war (siehe Frank Thadeusz – DER SPIEGEL –, 22. August 2011, „Trübsal im Gruselkabinett“) – in das Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und dessen Museum für Vor- und Frühgeschichte übergegangen – mit Ausnahme der Bestände aus Namibia und Australien. Die SPK gehört Bund und Ländern, wobei die Bundesregierung den größten Eigentumsanteil hält und mit 75 Prozent auch den größten Teil des Stiftungsvermögens beisteuert.
Wenn dem so ist, stünde bei einer Übertragung auch der Bestände aus Namibia und Australien einer direkten Übergabe der verbleibenden Gebeine aus der Hand der Bundesregierung an die beiden Länder, die Restitutionsansprüche auf diese Gebeine erhoben haben, auch juristisch nichts mehr imWege. Eine solche Übergabe auf bilateraler staatlicher Ebene ist, wie den Fragestellern von den Opferverbänden mitgeteilt wurde, eine der Bedingungen von Herero und Nama für eine würdevolle Übergabe, die aus ihrer Sicht schon deshalb aus der Hand eines hochrangigen deutschen Regierungsvertreters (Bundeskanzlerin, Bundespräsident) erfolgen muss, da es damals der deutsche Kaiser war, der die Gebeine durch seine Anordnungen nach Deutschland hat verschiffen lassen.
Nun gibt es nach Informationen der Fragesteller Bestrebungen, die erst 2011 übernommenen Sammlungen von Gebeinen aus der SPK in eine andere, womöglich private Institution zu verschieben. Scheinbar soll dies unter Ausschluss einer öffentlichen Diskussion, unter Geheimhaltung und ohne die Herkunftsländer über diesen Schritt zu informieren, umgesetzt werden. Auch wenn die namibischen und australischen Gebeine zur weiteren Provenienz-Forschung in der Charité verblieben sind, ist die Gefahr nicht ausgeschlossen, dass sich in der SPK-Sammlung auch sensible Gebeine befinden, die in Zukunft Gegenstand eines Rückgabeanspruchs werden könnten. Während der ersten Übergabe 2011 wurde den Gebeinen aus Namibia eine breite öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, ihre Fragwürdigkeit als Sammlungsgegenstände stand im Raum und Paramount Chief Kuaima Riruako forderte als Teil der namibischen Delegation endlich eine Anerkennung des aus ihrer Sicht begangenen „Völkermords“ als solchen und eine offizielle deutsche Entschuldigung für diesen (siehe Larina Boeckmann, Inter Press Service, 4. Oktober 2011, „Skulls Repatriated – But No Official German Apology“). Vor diesem Hintergrund kann man dies nur als Akt der SPK und seiner staatlichen Eigentümer verstehen, sich dieses sensiblen Themas möglichst leise und schnell zu entledigen, bevor es zu weiteren Restitutionsforderungen durch weitere Herkunftsländer kommt. Es liegt die Vermutung nahe, dass es seitens der Bundesregierung nicht gewünscht ist, die nicht übernommenen namibischen und australischen Gebeine, aber auch nicht irgendwelche anderen Bestände in würdevollen, staatlich-bilateralen Restitutionsprozessen an die entsprechenden Herkunftsländer zu übergeben. Folgende Gründe machen daher diese geplante Sammlungsmigration höchst problematisch: eine private Institution stünde als Adressatin möglichen Restitutionsanfragen unverbindlicher gegenüber als die Bundesrepublik Deutschland. Bei der privaten Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU), die auch über Sammlungen menschlicher Gebeine aus dem Gebiet des heutigen Namibia verfügt, ist es beispielsweise schon heute der Fall, dass sie sich hinsichtlich einer Provenienz-Feststellung und Verhandlungen über Rückgabeansprüche relativ unkooperativ gibt. Schließlich soll diese Migration einer öffentlichen Sammlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit und dem Wissen der Herkunftsländer stattfinden.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sich ein Teil der ehemaligen Sammlungen der Berliner Charité von menschlichen Gebeinen aus ehemaligen deutschen Kolonien und anderen Überseegebieten seit dem Jahr 2011 (oder später) im Besitz der SPK und damit in Bundeseigentum befinden?
2. Aus welchem Grund hat die SPK die Charité-Bestände an Gebeinen aus Namibia und Australien nicht ebenfalls mit übernommen?
3. Inwiefern hat die Bundesregierung die Herkunftsländer und -völker und die deutsche Öffentlichkeit darüber informiert, dass sich nun die ehemaligen Charité-Bestände an menschlichen Gebeinen mindestens zum Teil im Eigentum der SPK und damit in Bundeseigentum befinden und damit etwaige Restitutionsansprüche direkt bei der Bundesregierung geltend gemacht werden können?
Wenn eine solche Information an eine der genannten Beteiligten und Betroffenen – Herkunftsländer und -völker und die deutsche Öffentlichkeit – nicht erfolgt ist, warum nicht?
4. Plant die Bundesregierung, die mutmaßlich aus dem Gebiet des heutigen Namibia stammenden Schädel nach dem Abschluss der derzeit in der Berliner Charité und der Universität Freiburg laufenden Provenienz-Feststellungsverfahren ebenfalls in die SPK und damit in Bundeseigentum zu übernehmen und sie dann an die Republik Namibia und die Nachfahren der Opfer des deutschen „Vernichtungskrieges“ vor über 100 Jahren würdevoll, d. h. aus Sicht der Fragesteller aus der Hand eines hochrangigen Vertreters der Bundesregierung, zu übergeben?
Wenn nein, warum ist dies trotz Zusage einer „würdevollen Übergabe“ nicht vorgeschehen?
5. Was soll konkret nach dem aktuellen Sachstand mit der Sammlung menschlicher Gebeine der SPK geschehen?
6. Inwiefern kann die Bundesregierung die Absicht der SPK bestätigen, die Sammlungen an menschlichen Gebeinen der SPK an andere, möglicherweise private deutsche Institutionen zu übertragen?
a) Wenn ja, an wen genau sollen die Sammlungen von Gebeinen übertragen werden?
b) Wenn ja, warum wird seitens der SPK und damit auch der Bundesregierung solch eine Sammlungsmigration beabsichtigt?
7. Inwiefern wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die Provenienz-Forschung der Bestände an menschlichen Gebeinen aus Namibia seit 2011 vorangetrieben, und wie ist hierbei der Sachstand (bitte nach Institutionen, Städten, jeweiligem Forschungsstand, etwaiger Probleme und ihrer Gründe und etwaiger Unterstützung durch die Bundesregierung des Forschungs- und Aufklärungsprozesses aufschlüsseln)?
8. Wie verhält sich die Bundesregierung zur Kritik, dass auch schon die Absicht verantwortungslos wäre, lediglich die Teile der Sammlung aus dem eigenen SPK-Eigentum abzugeben, zu deren Provenienz noch keine oder keine vollständigen Ergebnisse einer Forschung vorliegen und/oder noch keine Rückgabeforderungen seitens der Herkunftsländer erhoben wurden?
9. Inwiefern kann die Bundesregierung bestätigen, dass die SPK schon Verhandlungen darüber aufgenommen hat, die eigene Sammlung an menschlichen Gebeinen an einen privaten Träger zu übergeben?
10. Sollten solche Verhandlungen Seitens der SPK hinsichtlich einer Sammlungsübertragung schon erfolgt oder schon im Gange sein, wie ist der bisherige Verlauf und der Sachstand bzw. das Ergebnis dieser Verhandlungen, mit welchen Institutionen wurde verhandelt, und welche konkreten Eckpunkte wurden oder sollen noch vereinbart werden – insbesondere im Hinblick auf weitere Provenienz-Nachforschungen und dem Umgang mit etwaigen Rückgabeforderungen aus den Herkunftsländern?
11. Falls eine Übertragung des Eigentums an der SPK-Sammlung an menschlichen Gebeinen an eine andere, möglicherweise sogar private Institution in Deutschland geplant oder sogar schon verhandelt wird, warum finden die Planungen und Gespräche über die Zukunft einer sich in öffentlichem Bundesbesitz befindlichen Sammlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt?
12. Wie beabsichtigt die Bundesregierung damit umzugehen, dass die weitere Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit und die Provenienz- Forschung ergeben könnte, dass weitere Teile der künftig möglicherweise in private Trägerschaft abgegebenen Sammlung ebenso aus Gewaltzusammenhängen stammen könnte, wie die Schädel der Herero und Nama?
13. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung vermittelnd oder mit anderen Maßnahmen gegenüber privaten deutschen Trägern zu intervenieren, die sich einer Provenienzfeststellung und der Rückgabe von menschlichen Gebeinen aus ihren Sammlungen und Beständen gegenüber sehr „zugeknöpft“ bis ablehnend gegenüber den auf Rückgabe drängenden Herkunftsländern verhalten?
14. Ist derzeit eine weitere Rückgabe von Schädeln von Opfern des deutschen „Vernichtungsfeldzugs“ an Namibia konkret geplant?
Wenn ja, aus welchen deutschen Institutionen und in welchem Zeitfenster?
Wenn nein, warum nicht?
Drucksache 18/10
Berlin, den 23. Oktober 2013
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
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