Koloniales Erbe und Zusammenarbeit

Grundsatzerklärung zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit in Afrika  
Von Prof. Dr. Dr. Prinz Kum’a Ndumbe III. 
 Wir sind erleichtert und gratulieren mit Ehrlichkeit der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland, im Koalitionsvertrag das Thema « Deutscher Kolonialismus » festgeschrieben zu haben. Unsere Völker, die von Deutschland kolonialisiert wurden, haben seit 1919, also seit 99 Jahren, auf diese Zeit gewartet, damit dieses Kapitel gemeinsamer Geschichte endlich aufgearbeitet wird. Die Bekundung dieses politischen Willens seitens der Bundesrepublik Deutschland lässt erhoffen, dass wir gemeinsam diese Zeit durchforsten, aufklären, Stimmen aller Betroffenen zu Gehör bringen, Konsequenzen ziehen, und dass wir auf internationaler Ebene eine friedliche Gegenwart und Zukunft gestalten lernen. 
 
1. Zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit in Afrika 
Ich bedanke mich umso mehr, dass ich zum persönlichen Auftaktgespräch « Koloniales Erbe und Zusammenarbeit » nach Hamburg eingeladen wurde. Ich bin glücklich, dass dieses Thema, das mir am Herzen liegt, und das ich schon 1970 mit dem Theaterstück in deutscher Sprache « Ach, Kamerun, unsere alte deutsche Kolonie! », und der auch 1970 auf Deutsch verfassten Magisterarbeit « Das Deutsche Kaiserreich in Kamerun – Wie Deutschland in Kamerun seine Kolonialmacht aufbauen konnte 1840-1910 » an der Université de Lyon behandelt habe, ja, dass dieses Thema von deutscher Regierungsseite nun abgesegnet wurde. Es sind ja immerhin 48 Jahre, die ich persönlich mit Geduld, manchmal mit Zorn gewartet habe, es sind seit 1919 doch 99 Jahre, die unsere Völker in Kamerun, Namibia, Tansania und Togo gewartet haben, bis eine Aufarbeitung überhaupt beginnen kann und die nachhaltige Destrukturierung von Gesellschaft und Institutionen in unseren Ländern mit ihren verheerenden Konsequenzen wahrgenommen wird. Das Trauma der konzertierten gewaltsamen europäischen Aggression gegen afrikanische Völker, die von der Berliner Konferenz von 1884/85 strukturiert, finanziert und ausgeführt wurde, liegt noch tief in der Psyche des modernen Afrikaners, auch wenn er nicht immer versteht, warum seine innere Außen Orientierung ihn unfähig macht, sein Land mit stärkerer Kraft voranzubringen. 
Die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus kann sich nicht auf den Umgang mit musealen Gegenständen beschränken. Auch wenn die deutsche koloniale Erfahrung nur von 1884 bis 1919 gedauert hat, also 35 Jahre, war sie grundlegend, weil die Destrukturierung von Gesellschaft und Institutionen, die rücksichtslose und gewaltsame Einführung des europäischen Systems in Politik, Wirtschaft, Erziehung, Religion, usw. die Menschen in ihrer eigenen Heimat entrechtet und zu blinden gehorsamen Objekten verwandelt hat, wenn sie nicht systematisch erhängt oder ausgerottet wurden. Die anderen europäischen Mächte, die nach dem Ersten Weltkrieg diese Gebiete übernommen haben, haben das System nur verfeinert und noch tiefer verankert. 
Wir würdigen die Weitsicht von manchen Deutschen, die in der Kolonialzeit Kolonialismus als Verbrechen wahrgenommen und denunziert haben, ob Abgeordnete im Deutschen Reichstag, Anwälte, oder Journalisten. Wir würdigen aber auch Arbeiten deutscher Historiker-Kollegen, von Helmuth Stöcker schon 1960 bis zu Jürgen Zimmerer heute, die anders als die rühmenden Kolonial- Historiker des II. Reiches, der Weimarer Republik und des III. Reiches, einen kritischen Blick auf die im Namen des Deutschen Reiches in Afrika begangenen Verbrechen zu werfen gewagt haben. Wir würdigen auch Politiker der heutigen Bundesrepublik Deutschland, Anwälte, Journalisten und andere Aktivisten, weil sie nicht nachgelassen haben, bis dieses Thema auf den Tisch gelegt wurde. Mit Genugtuung würdigen wir auch den Beitrag der deutschen Sektion von AfricAvenir International mit ihren Partnern, die unermüdlich Kolonialismus von gestern und Rassismus von heute anprangern. Dank diesem hohen Engagement von verschiedenen Menschen und Organisationen wurde in Berlin das nach einem Sklavenhändler benannte Gröbenufer in May Ayim Ufer umgetauft, zu Ehren der antikolonialen Dichterin. Der Nachtigal Platz zu Ehren des Kolonialerwerbers wird nun bald in Rudolf Duala Manga Bell oder Bell Platz umbenannt, zum Andenken an den führenden Widerstandskämpfer vor dem Ersten Weltkrieg in Kamerun. 
Nach der Unabhängigkeit und Gründung von universitären Einrichtungen mit Abteilungen für Geschichte wurde hier und da in den afrikanischen Ländern über den deutschen Kolonialismus geforscht, mit großen Schwierigkeiten jedoch, zumal Deutsch nicht mehr die Kolonial- und Erziehungssprache war, die afrikanischen Akademiker in Englisch oder Französisch ausgebildet wurden und keinen Zugang zur deutschen Sprache hatten, um Dokumente lesen zu können; und die Sütterlinschrift in den Akten stellte eine weitere Hürde dar. Einige afrikanische Akademiker deutscher Abteilungen haben sich dieses Themas angenommen, aber das Forschungsfeld « deutsche Kolonialzeit » bleibt wie verschlossen für afrikanische Historiker, Politologen, Ökonomen, Soziologen, Kunsthistoriker, Musikforscher, usw. 
2. Zum Schwerpunkt Umgang mit musealen Gegenständen müssen zwei Fragen aufgeworfen und beantwortet werden: 
1. Frage: Hatte Europa oder Deutschland eine Tradition von ethnologischen Museen vor der kolonialen Invasion europäischer Mächte um 1884? Die Antwort ist eindeutig NEIN. Diese ethnologischen Museen wurden zur Zeit der europäischen Expansion im 19. Jahrhundert gegründet, um gekaufte, entwendete oder mit Waffengewalt entrissene heilige Kult- und zweckgebundene Kulturgegenstände fremder Völker nach Europa zu bringen und zur Schau zu stellen. Es entwickelte sich dann eine Sinnentfremdung der Objekte im europäischen kapitalistischen System, und bis heute hat sich ein richtiger Markt mit afrikanischen Kult- und Kulturobjekten entwickelt, hauptsächlich beherrscht von Nachkommen europäischer Plünderer. Diese Kultur der Verachtung unterworfener Völker führte in Deutschland und Europa sogar zu Menschenschau Veranstaltungen in Zoologischen Gärten. Auch im Winter konnte man diese menschenähnlichen Tiere aus Afrika im Zoo besuchen und anschauen. 
2. Frage: Hatten diese afrikanischen Völker die Kultur des Museums, um Objekte zur Schau zu stellen, nur damit Besucher sie betrachten konnten? Die Antwort ist eindeutig NEIN. Heilige Kultobjekte waren in spirituellen Heinen oder Königshäusern streng aufbewahrt, zweckgebundene Kultur- « Objekte » kamen nur heraus bei ganz bestimmten Anlässen und wurden wieder abgeführt. Diese « Objekte » kamen heraus mit Musik, Tanz, Gesang, Bemalung, auch des Körpers, denn Leben ist eine Einheit in der afrikanischen Philosophie. Es gibt also kein Kunst- « Objekt », sondern « Objekte » zum Einhauchen oder zur Vernichtung des Lebens, « Objekte » zum Tragen des sozialen Lebens in der Gemeinschaft. 
Auch über 100 Jahre nach der gewaltsamen Einführung des kolonialen und europäischen Systems in Afrika tun sich die heutigen Afrikaner immer noch schwer, Museen einzurichten oder in Museen einzutreten, um tote, funktionslose Objekte zu betrachten oder zu bewundern. Für viele wäre es eine sinnlose Geldverschwendung, denn Leben ist Bewegung und Rhythmus und Vitalität kann nicht in einem Raum oder Gebäude versperrt bleiben. 
Nur läuft die Diskussion mit ehemaligen europäischen Kolonialmächten im 21. Jahrhundert so, dass sie von den Afrikanern erwarten, dass sie Museen bauen, um überhaupt über den Umgang mit den geraubten und nach Europa verschleppten Kult- und Kulturobjekten zu diskutieren. Europäer diskutieren auch lieber mit europäisierten, oft entwurzelten Afrikanern, die Museum- und Ausstellungskultur auch für Afrika beanspruchen. Ein nicht entwurzelter Afrikaner weiß genau, wo diese Funktionsgegenstände auch im 21. Jahrhundert hingehören. 
3. Zur möglichen kulturellen Zusammenarbeit 
Die kulturelle Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern sollte sowohl auf staatlicher, als auch auf privater Ebene neu gedacht werden. Ich möchte mich ganz konkret mit einem Beispiel begnügen, um eine mögliche Basis der Zusammenarbeit auf privater Ebene anzubieten. 
Die Fondation AfricAvenir International in Douala, mit Sektionen in Berlin, Paris und Wien hat ein 7- jähriges Kultur-, Forschungs- und Ausbildungsprogramm 2015-2022 aufgestellt und bietet Kooperationsmöglichkeiten an. Worum geht es? 
Als Hochschullehrer, Gründer und Leiter der Deutschen Abteilung an der Universität Yaoundé I konstituierte ich 1981 zwei Forschungsgruppen. Eine befasste sich mit der Übersetzung grundlegender Texte zur deutschen Kolonialzeit; diese Arbeit hat leider aus finanziellen Gründen nicht lange fortgeführt werden können. Die zweite befasste sich mit der Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit. Diese multidisziplinäre Gruppe von Historikern, Germanisten, Politologen, Ökonomen, Soziologen, Anthropologen und Linguisten bereiste von 1981 bis 1986 ganz Kamerun, um neunzig- und hundertjährige kamerunische Zeitzeugen der deutschen Kolonialzeit zu befragen. 176 sehr alte, aber noch geistig wache Kameruner haben ihre Beobachtungen und Erfahrungen in der deutschen Kolonialzeit in ihren jeweiligen kamerunischen Sprachen auf Tonband erzählt. Im Jahre 1986 organisierte meine Forschungsgruppe eine internationale Konferenz in Yaoundé über die Beziehungen mit Deutschland seit 1884, mit der Beteiligung der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, und Kollegen wie Helmuth Stöcker der Humboldt Universität, oder der Bundesrepublik wie Helmuth Bley, Wolfgang Mommsen, L. Harding, Helmuth Christmann und andere aus den USA wie Ralf Austen, aus Frankreich wie Laburthe Tolra, aus Senegal wie Amadou Sadji, aus Togo wie Oloukpona A.P. Die Kameruner Kollegen Kange Ewane, Bah Thierno, Joseph Mbassi, Antoine Madiba, David Simo, Carl Ebobisse, Joseph Gomsu und ich selber gestalteten diese wissenschaftliche Dialogveranstaltung in Anwesenheit ausgewählter hundertjähriger Zeitzeugen. 
In Zusammenarbeit zwischen der Fondation AfricAvenir International in Douala und dem Wiener Phonogrammarchiv wurden die Interviews der alten Zeitzeugen 2016 digitalisiert und auf einzelne CDs gebracht. Das größere Projekt, « African Collective Memory » wird in einer Zusammenarbeit zwischen der Fondation AfricAvenir International und der Gerda Henkel Stiftung von Düsseldorf seit 2015 umgesetzt. Diese Interviews werden in Kamerun in den 20 aufgenommenen kamerunischen Sprachen transkribiert, ins Französische, Englische und Deutsche übersetzt und veröffentlicht. Zurzeit liegt eine 9 bändige Ausgabe vor, die am Hamburger Museumsbüchertisch aufliegt, geplant sind 40 Bände bis Ende 2019. Damit gibt es eine neue Grundlage: Geschichte der deutschen Kolonialzeit erzählt von einheimischen afrikanischen Zeitzeugen. Der eindimensionalen Quellenverfügbarkeit wird damit ein Ende gesetzt, zumindest was Kamerun betrifft, denn bisher mussten alle Forscher sich fast exklusiv auf deutsche Quellen berufen. 
Diese multidisziplinäre Forschungsarbeit wird von der speziellen Bibliothek Cheikh Anta Diop in der Fondation AfricAvenir International unterstützt, da sie viele Ergebnisse afrikanischer Forscher weltweit zur Verfügung stellt. 
Eine multidisziplinäre Doktorandenschule « Heritage & Innovations » wurde seit 2016 in der Fondation AfricAvenir International in Douala in Zusammenarbeit mit der Gerda Henkel Stiftung, mit kamerunischen, afrikanischen und europäischen Universitäten aufgebaut, basierend auf dem wissenschaftlichen Erben Afrikas in den verschiedensten Disziplinen, und der Verknüpfung mit den wissenschaftlichen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts. Diese jungen Afrikaner sollen dazu befähigt werden, ausgehend von ihrem historischen wissenschaftlichen Erben, Führungsqualitäten für das Management ihrer Länder im 21. Jahrhundert zu erwerben. Das Programm heißt « Leadership Management in African Affairs ». Die Deutsche Welle hat vor zwei Tagen, am 16. Mai 2018 ein ausführliches Interview mit den ersten Promovenden, die ihre fertigen Doktorarbeiten jetzt auf den Tisch legen, geführt. 
Ein großes sechsstöckiges multifunktionelles Gebäude ist geplant, und wird auf 3 Etagen die Entwicklung der Geschichte der Menschheit von Anfang bis zum 21. Jahrhundert veranschaulichen und den Beitrag Afrikas in Wissenschaft, Kultur und Kunst den Menschen näherbringen. Sklaverei und Kolonialzeit, also auch die deutsche, werden auch hier eine wichtige Rolle spielen. 
Bewusstseinsbildung durch Erinnerungskultur wird in der Fondation Africavenir International in Douala, Berlin, Wien und bald auch in Paris regelmäßig und verschiedentlich betrieben. Parallel zur Fondation wird an jedem 28. August in Douala der Widerstand gegen den Kolonialismus von vielen Königen, Politikern, Intellektuellen und vom Volk der Bele Bele in Bonabéri-Douala gefeiert. Dies zur Ehre meines Großvaters, Lock Priso Bell oder Kum’a Mbape, auf dessen Thron ich sitze, der am 28. August 1884 als erster in Kamerun einen Absagebrief an den interimistischen deutschen Konsul schrieb mit den Worten: « Pull that Flag down, no man buy we ». „Setzen Sie diese (deutsche) Flagge herunter, niemand hat uns gekauft“. Seine Königsinsignien, die mit Waffengewalt und Brandschatz aus seinem Palast von diesem Konsul entwendet wurden, warten noch im Münchner Museum für Völkerkunde, umgetauft in Museum Fünf Kontinente. Eine Rückgabe an unsere Familie ist unumgänglich. Hoffentlich können wir dann noch zu meinen Lebzeiten Versöhnung feiern, für ein nachhaltiges Miteinander, für einen wahren Frieden.