Stellungnahme von glokal e.V. zur Verhaftung unseres Kollegen Doğan Akhanlı

Mit großer Sorge haben wir heute erfahren, dass unser Kollege, der Schriftsteller Doğan Akhanlı am Samstag den 19.08.2017 in den frühen Morgenstunden in Granada (Spanien) festgenommen wurde. Die spanische Polizei reagierte nach offiziell bestätigten Angaben auf einen internationalen Dringlichkeitsvermerk von Interpol, den die Türkei veranlasst hatte. Akhanlı und seine Partnerin, Perihan Zeran, befanden sich seit dem 16.8.2017 im Urlaub in Granada. Er wurde im Hotel von der Polizei aufgesucht und verhaftet. 

Am Abend wurde er nach Madrid überstellt, wo er morgen früh, den 20.08.2017 dem Haftrichter vorgeführt werden soll. Sein Anwalt, Ilias Uyar bestätigte heute, dass die deutsche Botschaft in Madrid und das Auswärtige Amt umgehend über die Festnahme informiert wurden. Es gibt noch keine Bestätigung darüber, ob eine konsularische Betreuung des Schriftstellers durch die spanische Regierung sichergestellt ist. Das Auswärtige Amt hat die Spanische Regierung zudem schon aufgerufen, Akhanlı in keinem Fall an die Türkei auszuliefern. Was ihm vorgeworfen wird, ist derzeit unklar.

Akhanli ist Mitglied der internationalen Schriftstellervereinigung PEN und setzt sich in seiner Literatur ungehalten für die Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern in der Türkei ein. Seine Vision ist angeleitet von vielen lokalen und historischen Gewalterfahrungen und Vernichtungsgeschichten. Der Genozid an den Armenien*innen, der Holocaust, der Krieg gegen Kurd*innen, der NSU und der Rassismus gegen Migrant*innen in Deutschland, der Völkermord an den Ovaherero und Nama  in Namibia haben Akhanlı allesamt dazu veranlasst, eine „transnationale Gedenkkultur mitzuentwickeln, die erst einen globalen demokratischen Humanismus erschaffen könnte“, so unser Freund und Kollege, Doğan.

Akhanlı lebt seit seiner Flucht aus der Türkei im Jahr 1991 in Deutschland. Er ist ausschließlich Deutscher Staatsbürger. 1991 floh er als oppositioneller demokratischer Aktivist, der zum Genozid an den Armenier*innen arbeitete und publizierte, weil sein Leben in der Türkei deshalb bedroht war. Seitdem konnte er nicht mehr in die Türkei einreisen. Die türkische Regierung anerkennt bis heute den Völkermord im Osmanischen Reich mit bis zu 1,5 Millionen Toten nicht an und kriminalisiert hingegen jegliche aufklärerische Arbeit zum eigenen Verbrechen. Akhanlı hat in diesem Kontext mehrfach die türkische Regierung kritisiert. Zuletzt im Juni 2016 als der Bundestag einstimmig seine Resolution zum Völkermord an den Armenier*innen verabschiedete. 

Erdoğan als auch weitere Nationalisten hoben zum diplomatischen Gegenschlag aus und kündigten einen Aktionsplan an, mit dem sie sich wegen der Resolution am Bundestag rächen würden. 
Akhanlı arbeitet gleichermaßen als kritischer Journalist zu den repressiven und antidemokratischen Entwicklungen in der Türkei unter der Regierung von Erdoğan. Zuletzt stand er gemeinsam mit dem Anfang 2017 aus der Türkei geflohenen Journalisten Can Dündar unter dem Motto „Die Freiheit des Wortes ist ein universelles Recht der Menschheit“ im März im WDR Funkhaus in Köln auf der Bühne und solidarisierte sich mit den seit dem Putschversuch über 160 weiteren in Haft genommenen Journalist*innen in der Türkei. Anlass für die Veranstaltung war die Inhaftierung des Welt-Journalisten, Deniz Yücel, den Erdoğan als „seinen persönliche Gefangenen“ sieht.

 Erdoğans autoritäre Politik, die gegen jedes internationale und demokratische Recht verstößt und ein autokratisches Regime in der Türkei errichtet, hat längst das türkisch-nationale Territorium verlassen. 
Am 4.8.2017 wurde in Barcelona wieder per Red Notice aus der Türkei von Interpol Hamza Yalçın, ein in Schweden lebender kritischer Journalist am Flughafen verhaftet. Er wartet seitdem auf seinen Prozess in Spanien. Die türkische Regierung fordert eine Auslieferung Yalçıns in die Türkei. Für den in Spanien populären Anwalt, Baltasar Garzón, ist eine Auslieferung „inakzeptabel“ aufgrund der menschenrechtswidrigen staatlichen Repression.
Die aktuellen Inhaftierungen sind kein Zufall! Erdoğan betreibt schon lange seine Politik in Deutschland und nun auch in Spanien, womit er seine Macht über die Grenzen seines Landes hinaus auszudehnen versucht, um weltweit gegen unliebsame und kritische Stimmen vorzugehen. Damit verwickelt er weitere EU-Länder, in denen eigentlich europäische Werte und demokratische Staatsbürgerrechte gelten müssen, in sein repressives Regime.
 Kritische Journalist*innen und demokratische Gegner*innen Erdoğans sind nun auch im Ausland nicht mehr sicher vor der türkischen Justiz! 
Erdoğan betreibt Missbrauch internationaler polizeilicher Zusammenarbeitsübereinkünfte, um kritische Journalist*innen in Haft zu nehmen, und die EU-Länder schauen zu oder unterstützen ihn hierin!
Wie begründen die Bundesegierung und die Europäische Union dieses Vorgehen vor dem Hintergrund ihrer freiheitlichen Staats- und Bürger*innenwerte und dem Recht auf freie Meinungsäußerung?


Die Abhängigkeiten Europas von Erdoğan müssen sofort beendet und somit als erstes der ohnehin nicht wirksame, menschenverachtende EU-Türkei-Flüchtlingsdeal aufgelöst werden!

Unser Freund und Kollege, Doğan, erinnerte uns in seiner Rede zum Gedenken an den rassistischen Brandschlags in Mölln 1992 daran, dass wir uns nicht nur an den Anschlag in Mölln erinnern, wenn wir an Mölln gedenken, sondern wir gedenken „der Gewaltgeschichte hier und in anderen Ländern. Deshalb müssen wir einen transnationalen Erinnerungsraum schaffen und ihn größer und unübersehbarer machen (…) Wenn die Vernichtungspropheten und ihre Komplizen ankündigen, dass sie wieder da sind, müssen wir aufstehen, wir, die wir die Mehrheit sind, und sagen:
 Wir sind auch da!“

 Deshalb sagen wir: Wir sind da und wir sind überall, weil Politik gegen autoritäre Regime und antidemokratische Politik in Zeiten von Globalisierung und Migration globale Politik ist und transnationaler Solidarität bedarf.

 Der Haftbefehl ist eindeutig rechtsmissbräuchlich! 


Wir protestieren entschieden gegen die Festnahme Akhanlıs und fordern die türkische Regierung dazu auf, sofort den Haftbefehl gegen Akhanlı fallen zu lassen, und die spanische Regierung rufen wir dazu auf, ihn sofortige Freilassung!
 Die Bundesregierung muss sofort eine konsularische Betreuung vor Ort gewährleisten. 
In den aktuellen Geschehnissen sehen wir bedrohliche Entwicklungen und die Fortsetzung einer langen historischen Praxis menschenrechtlicher Verstöße!

Eine Auslieferung in die Türkei ist in jede Fall zu verhindern!
 

Wir fordern das Auswärtige Amt, die Bundesregierung und damit alle Parlamentarier*innen des Bundestages auf, die sofortige Freilassung unseres Kollegen zu erwirken und sich für die Freilassung aller zu Unrecht inhaftierter Journalist*innen und Zivilist*innen in der Türkei einzusetzen, denn die Vision eines freien und demokratischen Zusammenlebens braucht eine globale und kollektive Praxis.